Zuletzt aktualisiert am 30. Januar 2024
2023 gibt es in Deutschland über eine Millionen PKW mit reinem Elektroantrieb. Doch auch der Anteil an Elektro-LKW ist erneut gestiegen. Anna-Lena-Menn hat das Know How, um Energiespeicher und Getriebe der Nutzfahrzeuge zu optimieren.
Anna-Lena Menn ist seit September 2022 Professorin für Ingenieurmathematik an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Zuvor arbeitete die Ingenieurin an Elektroantrieben von Nutzfahrzeugen bei der BPW Bergische Achsen, etwa für den Elektro-LKW Pepper Bax. Anfang 2023 lag der Anteil rein elektrisch betriebener Lastkraftwagen in Deutschland bei etwa zwei Prozent, steigt aber stetig an. E-LKW sind also für Klimaschutz und Wirtschaft ein heißes Thema. Und für die Technik dahinter will Anna-Lena Menn ihre Studierenden begeistern.
Frau Menn, Elektrotechnik ist oft als langweilig und theoretisch verpönt. Warum können Sie sich dafür begeistern?
In der Schule hatte ich schon immer Spaß an Mathematik und Physik, eben den Naturwissenschaften. An meiner Familie liegt das aber nicht. Ich bin da die erste Technikerin und Ingenieurin. Aber ein Bekannter meiner Eltern hat mich in diese Richtung gestupst. Er war Berufsschullehrer für Elektrotechnik und sagte, ich solle nicht auf Lehramt studieren wie alle anderen, sondern mich auf die Materie konzentrieren. Ursprünglich wollte ich dann Medizintechnik vertiefen, habe aber während des Studiums einen Umschwung gemacht und mich auf die Energietechnik konzentriert.
Was genau ist denn das Spannende an der Energietechnik?
Die Technik, also die Komponenten eines Elektroantriebs sind schon allein betrachtet sehr komplex und interessant. Es gibt viel zu beachten und Denkleistungen zu vollbringen. Dazu ist es sehr inspirierend, an so einer Umbruchtechnik zu arbeiten.
Um welchen Umbruch geht es da konkret?
Den Umbruch von einer stationären zu einer mobilen Antriebstechnik. Also etwa von elektrisch betriebenen Förderbändern in einer Produktionshalle zu Fahrzeugen wie Autos oder LKW. Das war ein ziemlicher Bruch innerhalb des Feldes der Antriebstechnik selbst, aber ist es auch jetzt in der Mobilität. E-Autos sind ja ein sehr heiß diskutiertes Thema, das die Gemüter spaltet und das finde ich einfach cool.
Welches Thema in der Elektromobilität wird denn in Zukunft die Gemüter spalten?
Am wichtigsten und relevantesten ist im Moment der Markthochlauf von Elektrofahrzeugen. Der Bestand ist von 0,2 auf einstellige Prozentwerte hochgeschossen, das hat zwischen 2020 und 2023 extrem zugenommen. Und ich weiß, dass nach wie vor in allen Domänen der Elektrotechnik an Neuheiten geforscht wird: sowohl im Energiespeicher, also auch im Design der elektrischen Maschine oder des Getriebes. Da gibt es immer noch ganz viele Forschungs- und Entwicklungsfragen zu beantworten. Auf ein Thema kann ich mich nicht festlegen.
Welche Konkurrenz zur Elektromobilität sehen Sie aktuell?
Es gibt noch die Wasserstoffantriebe, die aber ja auch Elektromobilität sind, da sie Elektromotoren enthalten. Ansonsten habe ich zu meiner Zeit an der TU Braunschweig Menschen erlebt, die an synthetischen Kraftstoffen gearbeitet haben. Das dümpelte, böse gesagt, immer ein bisschen vor sich hin. Da bin ich mir unsicher, ob das wirklich schwierig ist oder ob die Industrie das gar nicht will. Beim Wasserstoff tun sich die Konzerne noch mit dem Tanken schwer. Wobei ich das nicht so recht verstehen kann, weil auch Benzintanks nicht ungefährlich sind. Also ist im Moment die akkubetriebene Elektromobilität die Technik, die sich nach dem Verbrenner am meisten durchsetzt.
Sie haben eine Zeitlang in der Industrie gearbeitet und sind nun an eine Hochschule gewechselt. Warum haben Sie sich dafür entschieden?
Der Weg nach der Promotion in die Industrie ist klassisch für Ingenieur*innen. Nach Ende der wissenschaftlichen Mitarbeit ist das der meistgewählte Weg. Wir haben eigentlich nur wenige Möglichkeiten für eine wissenschaftliche Karriere.
Und doch sind Sie jetzt hier an der Hochschule.
Ich mag das Lehren sehr gerne und möchte Menschen etwas weitergeben, also den Nachwuchs generationsübergreifend an das Ingenieurwesen heranführen. Und ich forsche sehr gerne. Da genieße ich es, hier die Freiheiten zu haben, mich zum Beispiel mit Geräuschoptimierung zu beschäftigten – etwa durch eine Masterarbeit oder ein Masterprojekt. Die Bandbreite an Themen ist hier größer und ich bin nicht auf den Goodwill der Geschäftsführung angewiesen.
Wer ist denn der Ingenieursnachwuchs?
Insgesamt habe ich ungefähr mit 150 Ingenieur*innen zu tun. Die Gruppen sind sehr heterogen. Sowohl von der Motivation als auch vom Vorwissen und ihren Erwartungen sind sie sehr divers. Manche studieren, weil sie ansonsten nicht wissen, was sie machen sollen. Andere sind aufgeweckt, immer zu begeistern und können Transferwissen generieren. Es ist also ein bunt gemischter Haufen, den ich jede Woche aufs Neue dressieren muss.
Wie sieht die Geschlechterverteilung in den Kursen aus?
Böse, böse, böse. Der Anteil von Männern zu Frauen liegt bei 90 zu 10, wie das in ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen oft der Fall ist. Wenig Damen, also zu wenig. Aber ich habe bislang nicht mitbekommen, dass sie da nicht gut integriert sind.
Welche Erfahrungen haben Sie selbst im Studium gemacht?
Ich habe mich da immer als normales Rudelmitglied betrachtet und wurde in Braunschweig auch von den Professorinnen und Professoren, aber auch von meinen Kommilitonen so wahrgenommen.
Sie haben ein Auslandssemester in Prag absolviert. Wie kam es dazu und welche Unterscheide zum Studium in Deutschland gab es?
Ich wollte dort die osteuropäische Kultur kennenlernen. Dort ist es zum Beispiel wesentlich normaler, dass Frauen Ingenieurinnen sind. Man hat gemerkt, dass sie durch die Sowjetunion anders sozialisiert waren. Das erste Mal, dass es mit den Geschlechterrollen anstrengend wurde, war erst in der Industrie in Deutschland.
Was haben Sie dort erlebt?
Dort wurde immer sehr auf Hierarchie gepocht. Und ich durfte mich da nicht so durchsetzen. Wenn ich mich typisch männlich verhalten habe, mich also klar abgegrenzt und „nein“ gesagt habe, bin ich an eine Grenze gestoßen. Von mir wurde immer ein typisch weibliches Verhalten erwartet: immer „ja“ sagen, hilfsbereit und verfügbar sein.
Was glauben Sie, woran es liegt, dass es bislang nur wenige Ingenieurinnen gibt?
Ich glaube, dass die Berufsbildung in Familien eine große Rolle spielt und dass da Vorbilder fehlen. Es hat nicht jede Tante, jede Schwester, jede Großcousine einen ingenieursmäßig ausgerichteten Beruf. Aber auch in der Gesellschaft ist das noch nicht verankert. Da gibt es dann Sprüche wie „Oh, du hast Elektrotechnik studiert? Wie konnte das denn passieren?“. Da müssen wir noch viel, viel Aufklärungsarbeit leisten, um junge Frauen dazu zu motivieren, in diese Berufe zu gehen.
Sie sprechen von Aufklärungsarbeit. Wie genau gehen Sie persönlich vor?
Ich singe in einem Chor und wenn da Kinder in Richtung Abi gehen, sage ich: „Nein, nicht zum Finanzamt. Da gibt es noch etwas Interessanteres.“ Aber im Finanzamt verdient man von Anfang an gut und darauf gucken Eltern eben. Das ist auch normal und ich will ihnen das nicht absprechen. Aber es gibt eben sehr viele interessante Berufe und auch gerade das Ingenieurwesen ist ein sehr solider und sicherer Beruf. Und man hat dort nicht die schlechtesten Verdienstmöglichkeiten.
Welchen Rat geben Sie angehenden Studentinnen, die sich für das Ingenieurwesen interessieren?
Einfach mal machen, durchhalten und nicht beirren lassen. Das Studium dient auch dazu, eine Frustrationstoleranz aufzubauen, um Leistung zeigen zu können. Es muss einem nicht alles in den Schoß gelegt werden. Man muss auch für die eigenen Erfolge ackern. Aber man kann auch viele Erfahrungen sammeln, ins Ausland gehen oder auch die Uni wechseln. Es lohnt sich offen zu sein, überall die Nase reinzustecken. Ich habe zum Beispiel ein Praktikum im Vertrieb gemacht und war noch einmal im Auslandspraktikum. Am besten also keinen festen Plan haben, sondern Schritt für Schritt den eigenen Weg gehen.
/Interview geführt von Sven Festag