Das kommerzielle Interesse am expandierenden Markt des Weltraumtourismus wächst: Im Frühjahr hat Jeff Bezos, Gründer von Amazon und des Raumfahrunternehmens Blue Origin einen Raumflug mit sechs Frauen finanziert, der in den Medien zu kontroversen Diskussionen geführt hat. Die Untersuchungen zur Frauengesundheit durch die beiden Wissenschaftlerinnen an Bord haben im Medienrummel kaum Beachtung gefunden.
Im Zentrum der Diskussionen um den Flug mit prominenter Besatzung, darunter Katy Perry und Gayle King, standen die politische Symbolkraft solcher Missionen, deren ökologische und soziale Kosten sowie das Spannungsverhältnis zwischen kommerzieller Raumfahrt und realer struktureller Gleichstellung. Während Katy Perry gegenüber dem TV-Sender CBS den Flug als „einen wichtigen Moment für die Zukunft der kommerziellen Raumfahrt, für die Menschheit im Allgemeinen und für Frauen“ bezeichnete, nannte Guardian-Kolumnistin Marina Hyde ihn eine „Zeitkapsel der lächerlichsten Unsinnigkeiten des Girlboss-Feminismus der 2010er Jahre“.
Auch Prominente äußerten sich kritisch: Schauspielerin Olivia Munn sprach in der NBC-Sendung „Today“ von einem „luxuriösen Ego-Trip“, und Model Emily Ratajkowski kommentierte auf TikTok, das Ganze erinnere eher an eine „Endzeit-Inszenierung“ als an echten Fortschritt.
Der Blue Origin Flug im Überblick
Am 14. April 2025 startete Blue Origin die suborbitale Mission NS-31 vom Startgelände in West-Texas. Die Raumkapsel „RSS Kármán Line“ erreichte eine maximale Höhe von etwa 100 Kilometern, was der international anerkannten Grenze zum Weltraum entspricht. Die Flugdauer betrug zehn Minuten und 21 Sekunden.
Die Besatzung bestand aus sechs weiblichen zivilen Passagieren. Zu den Teilnehmerinnen zählten unter anderem die Sängerin Katy Perry, Moderatorin Gayle King, die Medienpersönlichkeit Lauren Sánchez (zudem Pilotin & Ehefrau von Jeff Bezos), die ehemalige NASA-Ingenieurin Aisha Bowe sowie die Weltraumforscherin und Menschenrechtsaktivistin Amanda Nguyen.
Die Mission steht in direkter Verbindung zu staatlicher Subventionierung: Blue Origin erhielt allein 2025 rund 2,3 Milliarden US-Dollar aus dem Pentagon-Startprogramm für weitere Raumflüge. Der Flug entspricht nach der Federal Aviation Administration (FAA) allerdings dem kommerziellen suborbitalen Raumflugsegment, das primär auf touristische Zwecke ausgerichtet ist. Die Auswahl der Teilnehmerinnen erfolgte durch das Unternehmen ohne öffentlich zugängliches Auswahlverfahren. Eine Astronaut*innen-Ausbildung war nicht notwendig. In einem Mission Statement kommunizierte Blue Origin die Mission aber als Schritt für mehr Diversität der Raumfahrt.

Rückschritte in Diversity, Equity & Inclusion
Doch während Blue Origin die „all-female crew“ in den Fokus der Kommunikation rückte, steht das politische Klima, in dem der Flug stattfand, in einem Kontrast zu dieser Darstellung. Erst am 20. Januar hatte US-Präsident Donald Trump mit einer Presidential Action des Weißen Hauses institutionelle Rückschritte im Bereich Gleichstellung und Wissenschaft in den USA unternommen. Das Dekret führte zur Entfernung aller DEI-Elemente (Diversity, Equity, Inclusion) aus dem NASA-eigenen Artemis-Programm. Die Formulierung, dass die erste Frau und erste Person of Color auf dem Mond landen solle, wurde gestrichen – ein symbolischer Rückschritt, der auch personelle Konsequenzen hatte.
Laut einem Bericht der Medienorganisation NPR, basierend auf Recherchen der Wayback Machine, erfolgte die Änderung am 16. März 2025. In einer Stellungnahme erklärte die NASA gegenüber NPR, man passe die Sprache „in Übereinstimmung mit einer von Präsident Trump unterzeichneten Executive Order“ an, um sich stärker auf die „Kernmission der Artemis-Kampagne“ zu konzentrieren: die Rückkehr von Astronaut*innen auf die Mondoberfläche.
Neue Aufgaben für NASA-Mitarbeiterinnen
In der Folge verlor Neela Rajendra, bislang Chief Diversity Officer am NASA Jet Propulsion Laboratory (JPL) laut mehreren Berichten, unter anderem der New York Post, ihre Position. Nach Angaben auf ihrem LinkedIn-Profil hat Rajendra inzwischen eine neue Aufgabe am JPL als Chief Team Excellence & Employee Success Officer angenommen, die sich auf Organisationsentwicklung fokussiert. Auch Katherine Calvin, bisherige Chefwissenschaftlerin und leitende Klimaberaterin der NASA, war von den Umstrukturierungen betroffen: Ihre Position wurde im Februar 2025 im Zuge der zweiten Trump-Regierung gestrichen, gemeinsam mit weiteren Stellen in ihrem Bereich.
Amanda Nguyen & Aisha Bowe im Porträt

Die beiden Frauen an Bord von Blue Origin, die Diversität in der Raumfahrt vorantreiben könnten, sind Amanda Nguyen und Aisha Bowe. Amanda Nguyen absolvierte 2011 und 2013 Praktika bei der NASA. Sie forschte am Harvard–Smithsonian Center for Astrophysics zu Exoplaneten. Seit 2021 ist sie wissenschaftliche Astronautenkandidatin am International Institute of Astronautical Sciences, wo sie zu Frauengesundheit & Menstruation im Weltraum forscht. Sie wurde die erste Frau vietnamesischer Herkunft im All. Nguyen führte Experimente im Rahmen von mehreren Forschungsprojekten des Massachusetts Institut of Technology zu Frauengesundheit in Schwerelosigkeit während des Flugs durch – ein Thema, das lange als Ausschlussgrund für Frauen in der Raumfahrt galt.
Aisha Bowe ist eine Luft- und Raumfahrtingenieurin, Unternehmerin und MINT-Aktivistin. Aufgewachsen in einer Arbeitendenfamilie, entdeckte sie durch einen Algebra-Kurs ihr Interesse an Technik. Sie studierte an der University of Michigan und arbeitete später sechs Jahre lang für die NASA. 2013 gründete sie das Technologieunternehmen „STEMBoard“ sowie die Medizinfirma „Mahiri Med“. Im April 2025 wurde sie als erste Person aus den Bahamas und als eine der ersten Schwarzen Frauen ins All befördert. Bowe erhielt Auszeichnungen für ihr Engagement im Bereich Bildung und Gleichstellung in den Naturwissenschaften, darunter den NASA Honor Award for Equal Employment Opportunity (2012), den National Society of Black Engineers Award (2012), den US Women’s Chamber of Commerce „Emerging Star“ Award (2015) sowie die Auszeichnung als STEM for HER’s Woman of the Year (2024).
Blue Origin und die Folgen
Im günstigsten Fall könnte die mediale Kontroverse einen potenziell positiven Nebeneffekt haben: Ein verstärktes Interesse an professionellen Astronautinnen der Raumfahrtgeschichte – etwa Christina H. Koch (NASA, Teil des Artemis-Programms), Jessica Watkins (erste Schwarze Frau auf der ISS) oder Samantha Cristoforetti (ESA, erste europäische Frau als ISS-Kommandantin). Die Gegenreaktion um den Blue Origin Flug dient so vielleicht indirekt einer erhöhten Sichtbarkeit für die Arbeitsrealität von Wissenschaftlerinnen & als „Erinnerungshilfe“ für bestehende Vorbilder.
Umweltpolitisch steht die Mission übrigens exemplarisch für die ungelösten Fragen kommerzieller Raumfahrt: Zwar basiert die Blue-Origin-Rakete auf Wasserstoff und Sauerstoff – Treibstoffe mit relativ geringen direkten Schadstoffemissionen. Doch die Raketenherstellung selbst ist hoch energieintensiv: Die Produktionskette eines einzelnen Flugs verursacht schätzungsweise 50 Tonnen CO₂, so eine Studie des World Inequality Reports von 2022. Hinzu kommen die Auswirkungen von Wasserdampf-Emissionen in hohen Atmosphärenschichten, die laut Eloise Marais, Atmosphärenchemikerin am University College London, die Ozonschicht beeinträchtigen können. Während globale Klimaziele verschärft werden, bleibt die ökologische Bilanz von Weltraumtourismus noch weitgehend unreguliert.
/ Tim Breuer