Zuletzt aktualisiert am 28. Februar 2019
Die Ingenieurwissenschaftlerin Tanja Clees brennt für ihr Forschungsthema der „Erneuerbaren Energien“. Im Interview wird deutlich, warum, und welche Herausforderungen sie als Frau beruflich noch zu bewältigen hatte.
Tanja Clees, 41, sitzt in ihrem Büro und ist gerade noch vertieft in die frisch eingetroffene Evaluation ihrer Lehrveranstaltungen. Seit Februar 2018 ist sie Professorin für Ingenieurinformatik, Modellbildung und Simulation an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Zusätzlich ist sie am Institut der Fraunhofer Gesellschaft für Algorithmen und Wissenschaftliches Rechnen tätig, wo sie zuvor Abteilungsleiterin war.
Haben Sie sich inzwischen gut eingefunden?
Ja, hier sind alle so nett – das geht schnell. Außerdem habe ich es hier endlich mit richtiger Hardware zu tun – also mit Maschinen und nicht nur mit Simulationen – und ich bekomme ein Wasserstofflabor.[1] Da kann man dann beispielsweise messen, wieviel Energie beim Transport verloren geht. Das Spannende ist, die Experimente so von außen zu programmieren, dass ich dann sehe: „Ah, da tut sich was.“ Das ist hier dann die Fortsetzung meiner Forschungsarbeit am Fraunhofer.
Und jetzt forschen Sie zusammen mit Studierenden?
Ja, klar – das macht mir großen Spaß. Ich mag ich es gerne, sowohl Lehre als auch Forschung zu machen. Ich gebe gerade ein Modul „Energie 4.0“ – die Studierenden kann ich dieses Semester noch nicht durch ein Wasserstofflabor jagen, weil das ja erst im Aufbau ist, aber ich habe ihnen schon illustrieren können, worauf das hinausläuft.
Wer sitzt da so vor Ihnen?
Eigentlich nur Jungs und viele mit Migrationshintergrund. Diese Jungs gehören zu dieser Gruppe von der die halbe Welt denkt, die sei so schrecklich, aber das sind sie gar nicht. Manchmal verstehe ich ein Wort nicht, was sie sagen. Aber die allermeisten sprechen gut Deutsch, nur manchmal ist das schriftliche Deutsch ein bisschen gruselig, aber das ist im technischen Bereich egal.
Nur Jungs?
Nicht nur, auch ein paar Frauen. Viele von ihnen sind Einzelkämpfer. Manche machen das sehr gut, manche geben zu früh auf. Da denke ich schon, rennt doch nicht weg, ich brauche euch doch hier.
Warum?
Weil ich keine Lust habe, mir von Männern sagen zu lassen, was ich brauche. Und weil es einfach dumm ist, das kreative Potenzial der einen Hälfte der Menschheit nicht auszuschöpfen. Nein, ganz einfach: gemischte Entwicklerteams sind viel effektiver – dann kann man auch ökonomisch argumentieren.
Gab es am Fraunhofer-Institut mehr Studentinnen?
Das Fraunhofer hat den charmanten Vorteil keine Uni zu sein, da sehen die Frauen, dass sie nicht alleine sind – es sind sicher 30 Prozent. Viele kommen aus der Mathematik oder Chemie – das ist eben nicht die Elektrotechnik-Technik.In Leitungspositionen haben wir allerdings nicht so viele Frauen, da würde ich sagen eher 20 Prozent. Für die Scientific Community ist das echt ein Problem.
Daher versuche ich auch regelmäßig für Männer wie Frauen Berufsberatung zu machen. Ich versuche ihnen zu spiegeln, welche Karriere sie sich vorstellen können. Bei Frauen versuche ich stärker zu verdeutlichen, was sie davon haben, in so einer Szene zu bleiben. Dass sie Beruf und Familie verbinden können, dass das klappt und dass sie trotzdem, wie ich, in einer Führungsposition arbeiten können.
Wie klappt das bei Ihnen?
Ich war drastisch an dieser Stelle. Ich habe mich da mit meinem Mann zusammengesetzt als klar war, wir heiraten im Zweifelsfall (lacht). Dann haben wir uns überlegt, wie wir das eigentlich machen, wenn irgendwann mal die Kinder kommen. Und wir haben geplant es aufzuteilen. Egal wer mehr verdient – ich will auf keinen Fall aus dem Beruf raus, er natürlich auch nicht – und wir versuchen es aufzuteilen, und das haben wir gemacht. Wir haben halb, halb gemacht.
Ich hatte offiziell eine Zeit lang eine 30-Stunden-Stelle, er hatte irgendwas Kompliziertes, er ist Lehrer – 17,5 von 25,5 was auch immer das ist. Aber wir haben die Woche aufgeteilt: Am Montag haben wir uns die Klinke in die Hand gedrückt. Ansonsten hatte jeder zwei volle Tage. Und wir haben uns auch das Stillen aufgeteilt: das Abpumpen war meine Aufgabe, das Produkt zu verfüttern hat mein Mann natürlich genauso gekonnt. Er macht jetzt mehr für die Kinder als ich – zeitlich. Und auch tendenziell mehr für unsere kleine Fünfjährige. Ich mache mit unserem Sohn viel – der ist elf. Das klappt super.
Die Kinderbetreuung so konsequent aufzuteilen ist ja nicht selbstverständlich.
Ich sehe bei vielen Freundinnen, dass die nicht loslassen können. Oder dass sie ihren Männer nicht zutrauen, so etwas zu machen – oder dass die Männer es nicht tun. Dass sie es eigentlich gerne wollten, aber der Job gibt es nicht her. Oder sie trauen es sich nicht, auf einen Teil des Gehalts zu verzichten. Bei uns wäre es besser gewesen, wenn ich voll gearbeitet hätte – aber das ist Quatsch. Du musst es wollen und durchsetzen. Ich versuche es den Frauen rechtzeitig zu sagen: Jammere nicht über die Gesellschaft, da musst du selbst ran. Das ist in Deutschland kein Selbstgänger.
Hat die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei Ihrer Studienwahl eine Rolle gespielt?
Überhaupt nicht. Ich habe genau das gemacht, was mir Spaß gemacht hat und was ich glaubte am besten zu können. Ich habe mir am Anfang meines Studiums überlegt – auch so typisch Frau: Ach, ich könnte ja Lehrerin werden, für Mathe und Latein – das kann ich beides gut. Im Studium habe ich dann erstmal gemerkt: „Ach wie cool hier!“ Habe Latein ganz schnell gekickt und dann physikalische Chemie im Nebenfach gemacht und es nie bereut. Ich habe mich allein als einzige Nebenfächlerin im Labor austoben können, mit den wildesten Sachen. Ich bin ja so klein, da musste ich mir Hilfskonstruktionen basteln: unten festhalten – oben ablesen. Das war lustig.
Dann sind Sie eigentlich einen klassischen Weg von Frauen gegangen. Als Mathelehrerin ist man ja gesellschaftlich anerkannt.
Mathe ist gesellschaftlich überhaupt nicht anerkannt. Aber es ist dann auch egal, ob man eine Frau ist. Du bist eh ein Nerd – also ist es egal ob du männlich oder weiblich bist. Du bist dann ein geschlechtsloses Wesen. Meine Familie war lange Zeit der Überzeugung, dass ich mich nie im Leben fürs Heiraten und Kinderkriegen interessieren könnte – weil ich Mathematikerin werden wollte. Geht’s noch?
Jetzt sind Sie Ingenieurin.
Ja, letztlich bin ich in die gleiche Falle getappt wie viele Frauen – ich hätte ja auch gleich sagen können, ich will Verfahrenstechnik oder Maschinenbau oder E-Technik studieren. Aber ich habe mich dann erst beruflich dorthin entwickelt und jetzt finde ich es auch stimmig und gut so.
Wie kann man mehr Frauen für technische Studiengänge begeistern – brauchen wir mehr MINT-Projekte?
Man kann Mädchen zeigen, wie cool und nett das ist. Aber sich gegen die gesellschaftliche Konvention durchzusetzen, das dauert.
Man kann fragen, was ihre Mütter tun, dann bekommt man eine Idee, ob sie eine Chance haben, sich über so etwas Gedanken zu machen. Und die allermeisten sind noch total klassisch unterwegs. Ich muss da nur einmal durch die Reihen von Klassenkameraden meines Sohnes schauen, was die Mütter da so machen – die meisten arbeiten mittlerweile irgendwie, aber mehr schlecht als recht. Und das färbt auf den Rest ab.
Ich bin auch lang gemacht worden von Frauen, nicht von Männern, wieso ich denn nun auf Dienstreise ginge, wenn das Kind doch erst sechs Monate alt ist. Und wie ist das mit dem Stillen? Dann habe ich das Köfferchen hochgehalten, was ich noch vorhatte zu füllen – abgepumpt und eingefroren. Ich habe richtig Milchwirtschaft betrieben. Das funktioniert. Dafür braucht der Mensch nur eine Tiefkühltruhe und ein bisschen Organisation. First in – first out. Ist nicht so kompliziert – kann man alles machen
Ist das ein deutsches Phänomen?
In der deutschen Gesellschaft ist das unheimlich kompliziert. Wenn ich montags in der Krabbelgruppe gesagt habe, dass ich Mittwoch mit meinem Mann tausche und ins Institut gehe, bin ich groß angeschaut worden. Die sind nett Kaffeetrinken gegangen. Nicht dass alle das so täten. Ich weiß, dass es eine ganze Menge gibt, die alleine erziehen, die keine Chance haben zu arbeiten.
Man bekommt als Frau die Chance zurückzufallen. Es ist einfacher, es ist akzeptierter. Ich sehe manchen Frauen ins Gesicht und weiß – du schaffst das – du hast den Biss dazu und bei manchen denke ich: du willst es noch nicht mal versuchen. Und das haben sie sich nicht selbst so ausgedacht, das ist einfach so unendlich schwer bei uns. Das ist so wie Rosa und Hellblau abschaffen. Vor 150 Jahren galt Hellblau als weiche Farbe und die Jungs haben Rot angezogen gekriegt – blutig, stark – das musst du heute mal versuchen. Das ist doch bescheuert. Bei uns in der Familie tragen die Kinder alles.
Es ist ja tatsächlich schwer, in Teilzeit eine Führungsposition zu haben.
Aber man kann auch in Teilzeit Führungsverantwortung übernehmen, man braucht halt einen Counterpart – Job-Charing funktioniert. Es liegt daran, dass man das auch einfordert und macht. Und ich versuche an Erfahrungen weiter zu tragen, was ich habe um das alles mal ein bisschen aufzulösen.
Sie sind sicherlich ein Vorbild für junge Frauen in den Naturwissenschaften.
Das heute ist eine Generation, die nicht mehr wirklich arbeiten will. Das gilt auch für die Männer. Sie wissen, dass sie arbeiten müssen, Arbeit muss aber vereinbar sein mit allem anderen. Diese Generation kriegt man eher übers Thema. Ich glaube persönlich, dass man mehr Menschen für die Ingenieurwissenschaften begeistert – insbesondere auch mehr Frauen – wenn man den Sinn hinter der Tätigkeit verdeutlicht. Ich kriege Frauen locker, wenn ich sage: Ist ein Energiethema. Du kriegst sowieso einen netten Schlag Menschen, wenn man schaut, wer sich für alternative Energien begeistert.
Also den Nutzen der Technik für die Menschen herausstellen.
Ja, dann ist mir das auch egal, dass das ein weibliches Ding ist – wenn ich auf die Weise mehr Frauen bekomme, ist mir das wurscht. Die Gesellschaft hat etwas davon.
Zum Schluss noch eine Frage: Was müsste noch erfunden werden?
Ich glaube nicht an den großen Wurf. Ich glaube wir haben eigentlich schon genug erfunden. Vielleicht müssten wir mal ein neues Modell erfinden, wie wir zufriedener zusammenleben könnten, ohne immer mehr erfinden zu wollen. Wir könnten uns als Menschen einfach mal wieder unser Glück erfinden. Nicht höher, weiter, noch ein Auto, sondern einen guten Lebensentwurf mit dem viele Menschen klar kämen. Das wäre schön.
/Nina Kim Leonhardt
[1] Wasserstoff ist ein chemischer Energieträger. In einem Wasserstofflabor können Studierende Messverfahren und experimentelle Methoden für die Qualitätsbeurteilung von Brennstoffzellen und regenerativ erzeugtem Wasserstoff erlernen. Die Erzeugung und Speicherung von Wasserstoff spielt dabei eine große Rolle.