Zuletzt aktualisiert am 23. August 2022

„Innovationsstandort für autonomes Fahren“ – das soll Deutschland laut Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis90/Die Grüne und FDP werden. Der Weg zum „autonomen Fahren“ ist lang. Sechs Stufen lang besagt die Norm „SAE J3016“. Wer steckt dahinter? Und wie werden Gender- und Diversity-Aspekte in die Entwicklung miteinbezogen? Teil 1 unseres Dossiers zum autonomen Fahren.

„Es ist mir ein wichtiges Anliegen, dass der ÖPNV für alle Bürgerinnen und Bürger zugänglich ist. Das gilt selbstverständlich auch für den autonomen ÖPNV“, betont Daniela Kluckert die Relevanz von autonomen Systemen, die für eine vielfältige Gesellschaft entwickelt werden. Sie ist parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Digitales und Verkehr und arbeitet im Bereich „Mobilität 4.0“ unter anderem an Lösungen für das autonome Fahren. Autonomes Fahren ist eines der Themen unserer Zukunft.

Die Festlegung der sechs Stufen Norm der SAE International, die den Weg zur vollständigen Autonomie definiert, hat sich inzwischen weit durchgesetzt. Auch für die Erarbeitung des „Gesetzes zum autonomen Fahren“, das in Deutschland seit 2021 den Betrieb autonomer Fahrzeuge regelt, wurde die SAE-Klassifizierung genutzt.

Sechs Stufen autonomen Fahrens in Norm geregelt

2014 veröffentlichte die SAE International die Norm „J3016“ der sechs Stufen des autonomen Fahrens zum ersten Mal. Seitdem entwickelte sie sie stetig weiter. Zuletzt stellte im Juni 2021 das Komitee für technische Standards der SAE International eine neue Fassung vor. Hintergrund dieser Überarbeitung war die Zusammenarbeit der SAE International mit der International Organization for Standardization (ISO). Sie hat ihren Sitz in der Schweiz und erarbeitet ebenfalls internationale Normen. Ziel bei der Erstellung dieser Norm „J3016_202104“ sollte sein, die ursprüngliche SAE-Norm vollständig international anzugleichen. Beispielsweise wurden einige typisch amerikanische Begriffe angeglichen.

Gender und Diversity bei SAE International

Nach eigenen Angaben wurde die SAE International 1905 als „Society of Automobile Engineers“ (SAE) in New York, USA gegründet. Ziel war es Anfang des 20. Jahrhunderts, die Ingenieure insbesondere in den USA, aber auch weltweit zu vernetzen. So sollten gemeinsame Standards bei der technischen Gestaltung von Automobilen geschaffen werden. Die beiden Zeitschriften-Herausgeber Peter Heldt und Horace Sweetland waren unter anderem gemeinsam mit Henry Ford die Gründer und ersten Mitglieder der SAE. Heute zählt die SAE International etwa 200.000 Mitglieder.

Mit der Zeit wurde die Organisation internationaler und beschränkte sich nicht mehr nur auf Automobile. Sie beriet darüber hinaus auch zu Techniken des Luftraums oder von Nutzfahrzeugen. Auch die Führung der Vereinigung wurde internationaler und diverser. 1996 wurde der erste Afrikanisch-Amerikanische Präsident gewählt, im Jahr 2000 die erste Frau in dieser Position. Heute gibt es in einigen Ländern Unterorganisationen der SAE International und auch Wettbewerbe für Studierende zum Designen, Bauen und Testen von Fahrzeugen.

Chancen für eine vielfältige, mobile Gesellschaft

Wie genau aber Gender- und Diversity-Aspekte in den aktuellen Entwicklungsprozess von autonomem Fahren miteinbezogen werden, insbesondere bei den Stufen 4 und 5, ist eine Frage, mit der sich inzwischen einige Forschende und Organisationen beschäftigen. Die deutsche Medien- und Kulturwissenschaftlerin Jutta Weber hat das Forschungsprojekt „Degendering the driver: Autonomous Vehicles, Mobility and Gender“ an der Universität Paderborn (2013 – 2016) ins Leben gerufen. Dabei untersucht sie, inwieweit das Autofahren durch Autonomes Fahren mit einem anderen Verständnis von Mobilität und Verkehr begriffen werden kann. Denn insbesondere in westlichen Kulturen ist dies immer noch vorrangig mit einer risikofreudigen, aggressiven Männlichkeit konnotiert. In einem modernen Verständnis spielen Sicherheit und Inklusion aller Verkehrsteilnehmer*innen eine größere Rolle.

Diversität der Entwicklung zukünftiger Mobilitätskonzepte

Jutta Weber und andere Wissenschaftler*innen, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben, kommen aber zu dem Schluss, dass in die neuen Technologien abermals unbewusst Konzepte von Gender, ethnischer Herkunft und Klasse integriert sind. Organisationen wie das deutsche Netzwerk „Women in Mobility“ versuchen, sich in diesen Entwicklungsprozess einzubringen. Sie bekennen sich zu einer nachhaltigen Mobilitätsgestaltung, die Ressourcen schont, effizient und sozial verträglich ist. So könnten beispielsweise Ältere oder Menschen mit körperlichen Einschränkungen durch autonome Fahrzeuge weiterhin oder überhaupt erst in der Lage sein, selbstständig am Individualverkehr teilzunehmen. Gerade einige amerikanische Unternehmen wie Waymo oder Zoox leisten bei der Einbeziehung dieser Bedürfnisse aktuell Pionierarbeit.

Die sechs Stufen autonomen Fahrens

Die Stufe 0 umfasst Fahrzeuge mit keinerlei Fahrautomatisierung. Kontrollsysteme wie das Antiblockiersystem (ABS) oder Ähnliches können die fahrende Person unterstützen.

Die erste Stufe der Automatisierung beschreibt das assistierte Fahren. Systeme wie ein Abstandsregeltempomat oder ein Spurhalteassistent nehmen der fahrenden Person temporär gewisse Aufgaben ab. Dabei übernehmen die Systeme entweder die Längs- oder die Querführung. Also entweder die Kontrolle über Beschleunigung und Bremsung oder die Kontrolle über die Lenkung.

Genau hier liegt der wesentliche Unterschied zur Stufe 2, dem teilautomatisierten Fahren. In dieser Stufe können unterstützende Systeme sowohl die Geschwindigkeit als auch die Lenkung übernehmen. Auch hier muss die fahrende Person weiterhin stets die Kontrolle über das Fahrzeug haben und das Verkehrsgeschehen beobachten sowie das Auto jederzeit wieder selbst vollständig steuern können. Nötigenfalls indem sie in die Unterstützungssysteme eingreift, den Tempomat also beispielsweise durch eigenständiges Bremsen deaktiviert.

Lesen und Kinderbetreuung statt Lenken und Bremsen

Von Stufe 2 auf 3 findet in der Norm der SAE der Wechsel zwischen einer Person als „Fahrer*in“ und einer Person als sozusagen „Beifahrer*in“ statt. Auf Stufe 3, dem hochautomatisierten Fahren, muss die fahrende Person nur eingreifen, wenn das Fahrzeug eine entsprechende Aufforderung erteilt. Ansonsten kann sich die Person mit anderen Dingen beschäftigen, sei es dem Lesen oder der Betreuung der Kinder auf den Rücksitzen. Beispiele für diese Stufe sind Stauassistenten, die das Fahrzeug in Staus bis zu einer gewissen Geschwindigkeit selbstständig steuern. Technisch funktionieren diese Systeme bereits (zumindest bei guter Witterung) und auf Autobahnen bei einer Geschwindigkeit unter 60 Stundenkilometern dürfen sie in Deutschland auch eingesetzt werden.

Fahrzeuge der Stufe 4, des vollautomatisierten Fahrens, setzen ebendiese Aufforderung des Übernehmens durch einen Menschen nicht mehr ab. Sie müssen in der Lage sein, das Fahrzeug gänzlich zu steuern. Sie müssen Situationen im Verkehrsgeschehen selbstständig bewerten und über das weitere Vorgehen entscheiden.

Kommt das System doch an seine Grenzen, muss es sich selbst in einen – so lautet es im Gesetz zum autonomen Fahren – „risikominimalen Zustand“ versetzen. Also ohne die Gefährdung Dritter an einem Straßenrand oder auf einem Parkplatz anhalten. Beispiele hierfür sind Fahrzeuge ohne fahrende Person in Logistikzentren, die Waren von einem Lager ins andere transportieren, oder Kleinbusse, die auf einem festgelegten Betriebsgelände Personen befördern.

Stufe 5 ist dann die letzte Stufe – das autonome Fahren. Unter jeder Bedingung und in jeder Situation steuert sich das Fahrzeug selbst. Es gibt keine fahrende Person mehr und das Fahrzeug ist auf keinen „risikominimalen Zustand“ mehr angewiesen. Denn es kann in jeder Situation entscheiden, was zu tun ist.

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Das Video zeigt, welche Automatisierungstechniken schon heute in unseren Autos stecken. /Quelle: Klara Ollesch

Individueller Abstand trotz Abstandsregeltempomat

Tatsächlich ist es aktuell aber bereits so, dass trotz der Normen, in die womöglich männlich geprägte Konzepte von Mobilität eingeflossen sind, individuelle Einstellungen ermöglicht werden: Alle Systeme bis zur zweiten der Stufen des autonomen Fahrens, die heute schon serienmäßig in Autos verbaut werden, lassen sich durch die fahrende Person jederzeit aktivieren oder deaktivieren. Außerdem lassen sich viele Systeme zusätzlich der eigenen Fahrweise entsprechend einstellen. Bei einem Abstandsregeltempomat kann beispielsweise oft zwischen verschiedenen Abständen gewählt werden. Wird dann der Mindestabstand von einem halben Tachowert als Faustregel nicht eingehalten, kann es natürlich trotzdem zu Bußgeldern kommen.

Noch ist die Entwicklung dieser Technologien und dazugehörigen Regelungen so offen und zugänglich, dass Gender- und Diversity-Aspekte beim autonomen Fahren berücksichtigt werden können. Wichtig ist, die Verantwortlichen in der Politik, wie Daniela Kluckert als parlamentarische Staatssekretärin im Verkehrsministerium, beim Wort zu nehmen und das Thema immer wieder auf die Agenda zu setzen. Mit Katja Diehl gibt es in Deutschland eine Kommunikationsexpertin und Beraterin, die dieses Ziel aktuell sehr erfolgreich verfolgt.

/Paulina Zacharias

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