Zuletzt aktualisiert am 24. Oktober 2020
Klassisch technische Berufe werden noch immer vorwiegend von Männern ausgeübt. Dies gilt auch für IT-Dienstleister oder die Gaming-Branche. Damit Unternehmen dem entgegenwirken können, sind jetzt in einem interdisziplinären Projekt Handlungsempfehlungen und Best Practices entwickelt worden.
Gerade IT-Unternehmen haben Probleme, Frauen für ihr Berufsfeld zu begeistern und dort zu halten. „Nur 20% der Frauen, die einen Abschluss im Bereich IT haben, arbeiten im Alter von 30 Jahren noch in diesem Bereich, im Alter von 45 Jahren sind es nur noch 9%“, heißt es in einem Bericht des Kompetenzzentrums Technik-Diversity-Chancengleichheit.
Das Verbundprojekt „Gender, Wissen, Informatik. Netzwerk zum Forschungstransfer des interdisziplinären Wissens zu Gender und Informatik“(GEWINN) hat in einem Dialog mit Wissenschaft und Unternehmen Tipps herausgegeben, um Frauen in der IT-Branche zu halten und den Arbeitsalltag für sie fairer gestalten zu können. Die Handlungsempfehlungen und die Best-Practice-Beispiele (Quelle Best-Practices) richten sich vor allem an Unternehmen der IT-Branche und sollen helfen Vorurteile abzubauen.
Handlungsempfehlungen
In den Handlungsempfehlungen wird zunächst die aktuelle Situation beschrieben. Dazu gehört zum Beispiel, dass Frauen seltener eingestellt werden, wenn sie die einzige Bewerberin sind, denn dann werden sie als „Quoten-Frau“ wahrgenommen. Anschließend wird erklärt, was Unternehmen tun können, um die Situation zu verbessern: in diesem Fall mindestens zwei Frauen zu einem Bewerbungsgespräch einladen.
„Häufig sind es subtile, unbeabsichtigte Mechanismen, die der Entwicklung von weiblichen IT-Kräften entgegenstehen“, heißt es in den Handlungsempfehlungen. Frauen werden oft mit anderen Maßstäben gemessen, müssen eher beweisen, warum sie eine gewisse Position inne haben und ihre Kompetenz demonstrieren. Auch bei „Softskills“, also bei methodischen, sozialen und organisatorischen Kompetenzen, herrscht ein unterschiedlicher Standard in der Bewertung bei Männern und Frauen. Eine energische Frau wird eher als herrisch wahrgenommen als ein männlicher Kollege und gleichzeitig wird Frauen unterstellt, sie seien verständnisvoller und kommunikativer. Automatisch werden auch IT-Fachfrauen so Aufgaben übertragen, die eher in diesem Bereich anzusiedeln sind. So werden Stereotypen unterbewusst verstärkt.
Team-Meetings und Care-Aufgaben
Was kann nun ein Unternehmen für Frauen tun? Zunächst einmal müssen die verschiedenen Ebenen im Unternehmen anerkennen, dass es diese Stereotypen gibt und diese auch bedient werden. Dazu gehören das Management, aber auch die Personalabteilungen und ebenso alle Angestellten. Danach kann eine Firma anfangen daran zu arbeiten: „Care-Aufgaben“, also zum Beispiel nach dem Meeting aufräumen, sollten nach einem Plan gestaltet und bewusst gleich verteilt werden. So wird dafür gesorgt, dass Frauen nicht immer diese Art von Aufgaben übernehmen. In Team-Meetings sollten Frauen mehr zu Wort kommen und gegebenenfalls direkt angesprochen und nach ihrer Meinung gefragt werden.
Arbeitszeiten und Karrieregespräche
Um die Karriereleiter fairer für alle zu gestalten, sollten Karrieregespräche nicht bei einem Feierabendbier stattfinden, sondern während der Arbeitszeiten. Auch die Arbeitszeiten gilt es kritisch zu beleuchten. Herrscht zum Beispiel im Unternehmen ein gewisser Heldenkult für Menschen die Überstunden machen? Dadurch werden Mitarbeiter*innen, die nicht länger arbeiten können, weil sie sich zum Beispiel um Kinder kümmern müssen, benachteiligt. Viel eher sollte darauf geachtet werden, dass effizient gearbeitet wird und dass Aufgaben in der angesetzten Zeit auch machbar sind.
Auch das Ermessen von Kompetenz muss an dieser Stelle überdacht werden. Wenn Kompetenz und Berufserfahrung gleichgesetzt werden, fallen Bewerber*innen heraus, die in Elternzeit waren oder halbtags gearbeitet haben. Um Bewerbungsgespräche fairer zu gestalten, können sich Unternehmen vorher genaue Fragen überlegen und diese allen Kandidat*innen stellen und sich die Antworten notieren. Dadurch ist ein objektiverer Vergleich möglich.
Best Practices
Die Best Practices zeigen fünf verschiedene Handlungsfelder auf. Dazu gehören Employer Branding, Ressourcen, Organisationale Barrieren, Netzwerke, Standort und Branchen. Es wird erklärt, wie sich Unternehmen in jedem einzelnen Bereich diverser aufstellen können und so mehr Frauen anziehen. Unternehmen und Forscher der Hochschule Heilbronn und der Universität Siegen haben sich in so genannten „Reallaboren“ getroffen und dort unter möglichst realen Bedingungen an Forschungsfragen gearbeitet. Der Fokus lag hier vor allem darauf, welche Mechanismen dazu führen, dass Frauen die Branche wieder verlassen. Zu den IT-relevanten Unternehmen gehörten solche, die in der Gaming-Branche und als kommunale Dienstleister tätig sind. Auch die Standorte und die Größe der Unternehmen war divers.
Zur Erhebung der Daten nutzten die Teams vorwiegend qualitative Forschungsmethoden, wie Interviews und das Beobachten von Gruppen. Danach wurde in kleineren Gruppen über die Ergebnisse diskutiert und Lösungen erarbeitet. Hinzu kamen fünf Fachtage, die einen kontinuierlichen Austausch zwischen den Forscher*innen aus den Reallaboren und weiteren Steakholdern ermöglichten.
Das Projekt wurde in einem Verbund der Hochschule Heilbronn, der Universität Siegen, des Kompetenzzentrums Technik-Diversität-Chancengleichheit e.V. und des Nationalen Pakts für Frauen in MINT-Berufen durchgeführt. Gördert wurde es vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Die Laufzeit war von von Januar 2017 bis Ende April 2020.
Tipps für alle Branchen
Der Fokus des Projektes lag auf der IT-Branche. Viele Erkenntnisse sind allerdings nicht IT-spezifisch, sondern wertvoll für die allgemeine Arbeitskultur in deutschen Unternehmen. Gewohnheiten, wie das Aufräumen der Büroküche durch die Mitarbeiterinnen, finden sich in vielen Branchen.