Zuletzt aktualisiert am 22. September 2021
Jährlich schnuppern Mädchen am Girls‘ Day in technisch-naturwissenschaftliche Berufe. Doch wie erfahren Schülerinnen vom Mädchen-Aktionstag? Entspricht die Website der Initiative den Wünschen ihrer jungen Zielgruppe? Dieser Frage ist Lena Köppen in ihrer Master-Thesis nachgegangen.
Frauen in wissenschaftlich-technischen Berufen – ein Thema, das die Gender- und Diversityforschung seit Jahren beschäftigt. Zurecht, denn bis heute liegt der Anteil von Frauen in den sogenannten MINT-Berufen bei gerade einmal 15,4 Prozent und ist damit in den vergangenen fünf Jahren um nur einen Prozentpunkt gestiegen. Hier setzen bundes- oder länderweite Kampagnen wie der Girls’ Day an, um Mädchen und junge Frauen schon früh für Technik zu begeistern. Mit Erfolg: Durchschnittlich nehmen jedes Jahr etwa 100.000 Mädchen am Girls’ Day teil. Was auf den ersten Blick wie eine riesige Zahl aussieht, ist jedoch im Vergleich zur Gesamtzahl der schulpflichtigen Mädchen in Deutschland nicht viel. Im Schuljahr 2019/20 haben demnach nur 4,5 Prozent der Schülerinnen den Mädchen-Zukunftstag genutzt, um einen technischen Beruf kennenzulernen.
Die Girls‘ Day-Website
In meiner Masterarbeit habe ich mir unter dem Titel „Der digitale Auftritt des Girls’ Day: Eine User-Experience-Studie der Aktionswebsite“ die Frage gestellt, woran es liegen könnte, dass bisher nur ein kleiner Teil der Mädchen in Deutschland die Chance nutzt, einen MINT-Beruf auszuprobieren. Dabei kamen mir viele Ideen: Bekommen die Mädchen genug Unterstützung von ihren Eltern? Wird in der Schule Werbung für den Girls’ Day gemacht? Und was ist, wenn die Freundinnen keine Lust auf das Praktikum haben?
In meinem Masterstudiengang „Technik- und Innovationskommunikation“ habe ich gelernt, dass Außenkommunikation nur erfolgreich sein kann, wenn die Zielgruppe effektiv erreicht wird. Ein tolles Plakat, ein schönes Logo oder eine super Website bringen nichts, wenn sie an der Zielgruppe vorbeikommunizieren. Also habe ich mich gefragt, wie das eigentlich beim Girls’ Day aussieht und mich dazu entschieden, die Girls’ Day-Website auf ihre zielgruppengerechte Ansprache zu untersuchen. Damit wollte ich herausfinden, ob die Website die Mädchen bei der Suche nach einem Unternehmen unterstützt oder eventuell behindert.
Usability von Websites
Aber wie genau kann bewertet werden, wie zielgruppengerecht eine Website gestaltet ist? Das Stichwort hier lautet Nutzungsfreundlichkeit, auf Englisch Usability. Und glücklicherweise gibt es einen ganzen Forschungsbereich, der sich nur mit der Usability von Websites, Produkten und Anwendungen auseinandersetzt. In der Usability-Forschung geht es darum, mithilfe verschiedener Methoden herauszufinden, ob die Anwender*innen ein positives Nutzungserlebnis haben, also ob sie ihre Ziele auf der Website erreichen, sich gut zurechtfinden und über die Dauer der Nutzung hinaus ein positives Gefühl haben. Während die Usability vor allem die Gebrauchstauglichkeit, also die Effizienz einer Website, beschreibt, geht die User-Experience einen Schritt weiter und analysiert das gesamte Nutzungserlebnis – vor, während und nach der Interaktion auf der Website.
Der Mensch im Mittelpunkt
„Der Mensch im Mittelpunkt“ ist inoffizielles Mantra der Usability-Forschung. Denn bei jeglichen Methoden, Tests und Untersuchungen dürfen die Usability-Expert*innen nie vergessen, sich immer wieder auf ihre Zielgruppe zu besinnen und in deren Ermessen zu handeln. Daher gibt es viele Methoden, die die Zielgruppe direkt mit einbeziehen. Wenn die Zielgruppe jedoch nicht erreichbar ist (wie in meinem Fall aufgrund der Covid-19-Pandemie) gibt es Möglichkeiten, eine Untersuchung durchzuführen, die ohne die Befragung der Zielgruppe auskommt.
Beim kognitiven Walkthrough versetzen sich mehrere Usability-Expert*innen in die Rolle der Zielgruppe und untersuchen die Website, indem sie zuvor festgelegte Aufgaben erledigen, die realistische Nutzungsszenarien abbilden. Damit sich die fünf Expert*innen, die mich bei meiner Arbeit unterstützten, perfekt in die Zielgruppe hineinversetzen konnten, wollte ich ihnen ein möglichst genaues Bild dieser bereitstellen. Dafür habe ich die diverse Schullandschaft Deutschlands anhand von fünf Personas dargestellt. Personas beschreiben auf eine abstrakte, aber dennoch sehr detaillierte Weise einzelne Personen der Zielgruppe. Die folgende Abbildung zeigt die 14-jährige Marie, die Usability-Expert*in Constanze Ritzmann bei ihrem Walkthrough unterstützte.
Die User-Experience-Studie
Nun konnte es losgehen: Gewappnet mit den Fragen für den Walkthrough, den Persona-Sheets und der Aufnahmefunktion eines Videokonferenz-Systems führte ich fünf Interviews durch. Gemeinsam mit den Expert*innen entdeckte ich insgesamt 25 verschiedene Usability- und User-Experience-Probleme auf der Website, die mehr oder weniger schwerwiegend waren. Die Top 10 der Probleme wurden jeweils von mindestens drei Expert*innen herausgestellt und stellten damit eine klare Einschränkung der Nutzungsfreundlichkeit der Website dar. Dazu zählte zum Beispiel der Bereich des Girls’ Day-Radars, wo die Mädchen nach Unternehmen suchen und sich direkt für ein Praktikum anmelden können. Wie die Abbildung zeigt, war der entsprechende Button jedoch so versteckt, dass keine*r der Expert*innen von alleine den Weg dorthin gefunden hatte.
Die Vielzahl der Usability-Probleme hat gezeigt, dass die Website des Girls’ Day als möglicher Grund für die geringe Teilnehmerinnen-Quote durchaus infrage kommt. Nun könnte geprüft werden, ob es noch weitere Gründe gibt, wie etwa nicht genug Unterstützung durch Lehrer*innen.
Relaunch der Girls‘ Day-Website
In meiner Arbeit habe ich nicht nur Usability-Probleme herausgestellt, sondern auch konkrete, einfach umsetzbare Verbesserungsvorschläge gegeben. Und als hätten die Mitarbeiter*innen des Girls’ Day mich erhört, wurde die Website wenige Wochen vor Abgabe meiner Arbeit einmal generalüberholt. Zunächst war ich schockiert, da sich mein Untersuchungsgegenstand so gewandelt hatte – doch als ich mich näher mit der neuen Website beschäftigte, fiel mir sofort auf, dass tatsächlich einige „meiner“ Usability-Probleme behoben worden waren. Irgendwas hatte ich also richtig gemacht.
Mittlerweile arbeite ich selbst als Frau in einem wissenschaftlichen Beruf und merke jeden Tag aufs Neue, wie viel Spaß mir meine Arbeit macht. Ich hoffe sehr, dass sich immer mehr Mädchen für den Girls’ Day anmelden und die Zahl der Frauen in MINT-Berufen in Zukunft schneller steigt als in den vergangenen fünf Jahren – bis Kampagnen wie der Girls’ Day irgendwann nicht mehr nötig sind, weil Schülerinnen die gleichen beruflichen Perspektiven wie Schüler haben.
Aber bis dahin: Mädels, ihr könnt alles schaffen, was ihr wollt! Traut euch! Und macht beim Girls’ Day mit. 😉
/Lena Köppen