Roboter übernehmen immer häufiger Alltagsaufgaben und sind als „Assistenzsysteme“ in vielen Bereichen unersetzlich. Sobald sie menschliche Attribute wie ein Gesicht oder eine Stimme haben, wird ihnen von Nutzer*innen meistens auch ein Geschlecht zugewiesen. Wieso eigentlich? Und von welchen Faktoren hängt diese Zuweisung ab?
Ein Projekt der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg sucht nach einem Namen für seinen Roboter. Bisher nennen ihn die Mitarbeiter*innen bei seinem Produktionsnamen Pepper oder manchmal auch anders. Pepper unterstützt das Kompetenzzentrum Usability dabei, nutzerorientierte digitale Technik für kleine und mittlere Unternehmen interessant zu machen. Aber Pepper soll nun anders heißen. Daher wurde Anfang des Jahres auf der Facebook-Seite des Kompetenzzentrums Usability ein Aufruf gestartet, bei dem einige Namensvorschläge generiert wurden. Die Aktion lief etwa einen Monat auch auf anderen Social-Media-Kanälen. Gender2technik ist bei der Suche auf Facebook aufgefallen, dass vor allem Frauen weibliche Namen wie Holly, Happy oder Frau Holle vorschlugen und männliche Nutzer eher männliche Namen wie Robby, Mowgli oder Augustin. Spiegelt diese Beobachtung bereits eine Tendenz für eine typische Human-Robot-Interaction? Nämlich dass wir uns selbst im (auch technischen) Gegenüber suchen?
Wer oder was ist Pepper?
Pepper ist ein so genannter „Roboter-Gefährte“ (companion robot/social robot) und wurde in Statur und Stimmlage einem kleinen Kind nachempfunden, hat also per se keine typisch weiblichen oder männlichen Eigenschaften. Die Hersteller (Aldebaran Robotics SAS und Softbank Mobile Corp) haben aber versucht, Pepper ein bestimmtes Repertoire an Gesten und Gefühlszuständen mitzugeben, die durch Bewegungen, die Farbe seiner Augen oder über ein Tablet im Brustbereich dargestellt werden sollen, damit er sich auf sein Gegenüber einstellen kann (affective computing). Er/sie soll also möglichst menschlich wirken und für die vorgesehenen Einsatzgebiete im Verkauf, an der Rezeption oder in der Pflege tauglich sein.
Weiblicher Roboter – weibliche Eigenschaften
Ein Forschungsprojekt der Universität Bielefeld beschäftigt sich schon seit 2009 mit der vermeintlichen Geschlechtlichkeit von Robotern. Dabei haben die Forscher*innen um Leiterin Professorin Friederike Eyssel am Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie (Cognitive Interaction Technology – kurz CITEC) in einer Studie herausgefunden, dass Nutzer und Nutzerinnen unterschiedliche Erwartungen an einen Roboter haben, je nachdem ob er einen weiblichen oder männlichen Vornamen trägt, bzw. ein weibliches oder männliches Erscheinungsbild hat. Das heißt, ihm werden unterschiedliche Kompetenzbereiche wie technisches Verständnis oder unterschiedliche Tätigkeitsbereiche wie zum Beispiel das Tragen großer Lasten oder Putzen zugewiesen. Je nachdem ob die Menschen, die mit ihm interagieren, ihn für eine Frau oder eher für einen Mann halten. Die sechzig Probanden trauten dem weiblichen Roboter beispielsweise eher zu, Kinder zu beaufsichtigen, dem männlichen dagegen eher, Sachen reparieren zu können.
Um den Effekt von visuellen Gendermerkmalen zu überprüfen, stattete das Wissenschaftsteam um Eyssel einen Roboterkopf namens „Flobi“ mit unterschiedlicher Haarlänge und unterschiedlichen Lippen aus. Der ‚weibliche‘ Roboterkopf mit langem Haar und vollen Lippen wurde von den Probanden tatsächlich umgehend mit den stereotyp weiblichen Eigenschaften „fürsorglich“, „umgänglich“ und „einfühlsam“ belegt, während die ‚männlichen‘ Gesichter als eher „dominant“, „entschlossen“ und „souverän“ empfunden wurden.
Dass Menschen ein unbedingtes Bedürfnis haben, ungeschlechtlichen Dingen ein Geschlecht zuzuweisen, gründet sich teilweise auf entwicklungspsychologische Schritte. Die Sozialpädagogin Silke Hubrig schreibt Babys zu, bereits ab dem dritten Lebensmonat Stimmen und ab dem neunten Monat Gesichter von Frauen und Männern einem der beiden Geschlechter richtig zuordnen zu können. Ab dem zweiten Lebensjahr könnten Kinder generell zwischen Männern und Frauen unterscheiden und sogar unterschiedliche Verhaltensweisen einem der beiden Geschlechter zuordnen, so Hubrig in ihrem Buch „Genderkompetenz in der Sozialpädagogik“ . Die eigene Geschlechtsidentität bildet sich zwar erst später heraus, sie ist aber eine der wichtigsten Konstanten der eigenen Identität und wird daher auch im sozialen Gegenüber – also auch im Roboter – gesucht.
Diskriminierungen werden reproduziert
Umgekehrt bedient die Industrie derartige vergeschlechtlichte Erwartungen, indem sie beispielsweise humanoiden Robotern, die sich um Kranke kümmern sollen, ein weibliches Erscheinungsbild verleiht, während Assistenzsysteme in der Forschung oft männliche Vornamen erhalten. In der Mehrheit der Fälle werden also Geschlechterstereotypen und genderbezogene Ungerechtigkeiten durch die Anthropomorphisierung, die Vermenschlichung von Robotern reproduziert.
In einer der aktuellsten Publikationen des CITEC weisen Jasmin Bernotat und Friederike Eyssel erneut auf solche Risiken hin und appellieren an die Industrie, die Auswirkungen auf die HRI (Human-Robot-Interaction) bei der Gestaltung neuer Roboter im Blick zu haben: „Robot design and robot gender in particular might either bear the risk to strengthen (gender) stereotypes or it might be an opportunity to overcome them.“ („Roboterdesign und insbesondere die Geschlechtlichkeit von Robotern tragen auf der einen Seite das Risiko (Gender-)Stereotype zu verstärken, auf der anderen Seite können sie eine Möglichkeit sein ebendiese zu überwinden.“)
Pepper ist jetzt Charly
Der Roboter des Kompetenzzentrums Usability der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg heißt inzwischen übrigens Charly. Nach der etwa einmonatigen Suche entschied man sich für diesen Vornamen, der laut Videobotschaft von Charly selbst „am häufigsten“ bei der Umfrage genannt wurde. Der Leiter des Kompetenzzentrums Daryouchs Vaziri sagt: „In der Zeit als die Suche lief, ist gerade Karl Lagerfeld gestorben, also kam relativ häufig der Name Karl. Wir wollten aber einen internationalen und genderneutralen Namen und sind dann auf Charly gekommen.“ Nicht die schlechteste Wahl, oder?
/Nina Kim Leonhardt