Zuletzt aktualisiert am 12. März 2021

„Mein Lieblingsmaterial sind Stähle“, sagt Corinna Thomser. Sie ist seit April 2019 Professorin für Werkstofftechnik an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Im Interview erläutert sie, was sie an Stahl so fasziniert und wozu wir innovative Werkstoffe benötigen.

Frau Thomser, hat Sie schon immer interessiert aus welchem Material die Dinge sind, zum Beispiel jetzt diese Türklinke?

Corinna Thomser springt auf, nimmt sich einen Magneten von ihrem Whiteboard und hält ihn an die Türklinke ihrer Bürotür. Er bleibt aber nicht an der Klinke hängen.

Thomser: Das ist jetzt wahrscheinlich ein rostfreier Edelstahl, das passiert bei den Austeniten, dass sie nicht magnetisch sind. Wenn jetzt jeden Tag hier zehn Leute reinkommen und die Türklinke anfassen, würde ein gewöhnlicher Stahl sonst auch irgendwann korrodieren.

Und deshalb nimmt man diesen Edelstahl?

Ja, wenn man sagt, ich möchte jetzt eine Türklinke bauen, dann muss man sich zunächst fragen, welche Anforderungen an die Türklinke gestellt werden: Zum Beispiel wird es hier in Deutschland immer wärmer, also sollte das Material stabil sein bis plus 50 Grad. Dann habe ich eine gewisse mechanische Belastung, und die Türklinke sollte schön aussehen. Nach Möglichkeit sollte sie auch nicht anfangen zu rosten und sie muss bestimmte Maße einhalten. Eine Türklinke sollte sich auch angenehm anfassen lassen – also hat man bei jeder neuen Technologie auch Werkstofffragen, die zu beantworten sind, um wirklich den geeignetsten Werkstoff aus technologischer, ökologischer und kommerzieller Sicht zu finden.

Die Türklinke ist nicht magnetisch.
Mit einem Magneten prüft Corinna Thomser das Türschloss. /Quelle: H-BRS

Haben Sie ein Lieblingsmaterial?

Ja, Stähle. Es gibt ja tausende von verschiedenen Stahlsorten und mit denen habe ich mich schon viel beschäftigt, aber auch mit vielen anderen metallischen Werkstoffen. Zum Beispiel Gusseisen – das ist auch eine ganz spannende Werkstoffgruppe, für die es viele interessante Anwendungen gibt, zum Beispiel in der Windkraft. Kupferwerkstoffe sind sehr interessant, gerade weil es auch hier viele Neuentwicklungen gibt, und Aluminiumsorten.

Wie haben Sie sich früher eigentlich Ihren Beruf vorgestellt?

Ich hatte da jetzt keine so konkreten Vorstellungen. Mein Vater ist Mathematiker und ich war schon immer ganz gut in Mathe. Hatte auch Mathe und Deutsch LK – was an sich ganz praktisch war, weil man in Sachsen ohnehin in Mathe eine Prüfung machen musste und in Deutsch auch. Ich war dann mal in der Oberstufe von Chemnitz aus in Freiberg bei einem Studientag. Und was ich dort im Werkstoffbereich interessant fand, war, dass man erstmal alles studieren konnte und sich erst nach vier Semestern eine Vertiefungsrichtung suchen musste.

Es gibt an der TU Freiberg sogar eine eigene Fakultät für Werkstoffwissenschaften und Werkstofftechnologie und da ist es auch traditionell so, dass da relativ viele Frauen sind. Wir hatten etwa 30 Prozent unter den Studierenden. Also Werkstoffkunde ist ein klassischer Frauen-Ingenieurberuf.

Haben Sie in Ihrer bisherigen Laufbahn einen Unterschied zwischen Frauen und Männer in Bezug auf technische Fragen bemerkt?

Ich finde das ist eher eine Typsache – es gibt auch Männer die sehr kommunikativ sind und Frauen die das nicht sind. Aber bei Männern gibt es schon noch den klassischen Ingenieur, der an irgendwas rumschraubt – zum Beispiel an Autos. Das ist bei Frauen eher nicht so. Ich habe bestimmt die letzten 15 Jahre meines Lebens nichts selber gebaut und geschraubt und bin damit gut gefahren. Das ist auch nicht so wichtig.

Was braucht man denn um Ingenieurin zu werden?

Man sollte auf jeden Fall Interesse an dem Beruf haben, weil man dann auch alles lernen kann. Klar, das eine fällt einem leichter als das andere. Ich habe zum Beispiel nach Klasse zehn Physik abgewählt, weil ich damals auch meinen Lehrer irgendwie doof fand. Da habe ich im Studium natürlich gelitten. Selbstverständlich hatten wir Physik und selbstverständlich war es anstrengend das zu lernen, weil eben Vieles gefehlt hat. Aber wenn man den Willen hat, sich da durchzuboxen, dann kriegt man das auch irgendwie hin.

Physik ist also wichtig – worauf kommt es noch an?

Gute Fremdsprachenkenntnisse. Also Englisch sollte man möglichst gut können, sodass man sich traut zu sprechen und zu kommunizieren. Es gibt viele internationale Firmen und Projekte und viel Fachliteratur auf Englisch. Wir sind nicht mehr eine kleine Werkstoffinsel, auf der drei Experten sitzen und den Stein der Weisen finden, sondern wir sind international vernetzt und nutzen die weltweit verfügbaren Informationen. Da läuft die Kommunikation eben auf Englisch. Kommunikativ sein hilft auf jeden Fall, also nicht versuchen, alles alleine zu machen. Es gibt für alles Experten, die Sachen schon 20 oder 30 Jahre machen, und die sollte man fragen, wenn man irgendwo anfängt.

Corinna Thomser schätzt den Austausch mit Kollegen.
Corinna Thomser erklärt mögliche Ursachen für den Bruch der Kurbelwelle./ Quelle: Nina Leonhardt

Dann noch mal zurück zu Ihrem Fachgebiet: Was sind denn eigentlich innovative Werkstoffe?

In gewissem Maße kann alles innovativ sein. Hochfeste Stähle für die Automobilindustrie sind in letzten Jahren sehr viele entwickelt worden, die innovativ sind. Oder Verbundwerkstoffe, die Eigenschaften von verschiedenen Werkstoffgruppen kombinieren. Der Innovationsgeist ist auch an die Methodik gekoppelt. Früher hat man viele Messungen gemacht. Das ist sehr aufwendig und mittlerweile versucht man mehr zu simulieren, auch um die Anzahl der Experimente zu reduzieren und die Kosten und Entwicklungszeiten zu minimieren.

Woran forschen Sie aktuell?

Wir machen jetzt viel mit innovativen Fertigungsverfahren, insbesondere dem 3-D-Drucken, auch im Polymerbereich und mit Metallen. 3-D-Druck ist ein ganz interessanter Bereich, weil da gerade viel passiert. Ich habe mich in der Vergangenheit viel mit Simulation und Optimierung in der Werkstofftechnik beschäftigt. Das würde ich gerne weiter machen, also verschiedene Fertigungsverfahren simulieren und damit verbessern, beispielsweise Gießprozesse. Da geht es auch viel um die digitale virtuelle Methodik der Werkstoffentwicklung an sich.

Wir haben ja seit 2018 den Studiengang „Nachhaltige Ingenieurwissenschaft“ – spielt Nachhaltigkeit auch eine Rolle in der Werkstoffkunde?

Klar ist es immer eine Frage, wie man sinnvoll und effizient mit Werkstoffen umgeht. Wir müssen uns nicht nur die Frage stellen, wieviel kostet das, sondern auch, wie kriegen wir das wieder zurück? Zum Beispiel konnten in der Automobilindustrie in den vergangenen Jahren sehr viel dünnere Wandstärken realisiert werden, sodass der Werkstoffeinsatz minimiert werden kann. Und klar, jede Tonne, die ich an Material einsparen kann, ist ein Gewinn für die Umwelt. Außerdem haben wir begrenzte Ressourcen auf der Erde, das ist einfach so.

Vorhin haben Sie gesagt, dass Sie am liebsten mit Stählen und Gusseisen arbeiten, machen Sie das auch privat, also schmieden Sie in Ihrer Freizeit?

Ich habe tatsächlich schon mal geschmiedet – ich habe mal so einen Schmiedekurs gemacht – das fand ich auch ganz interessant. Als Studentin in Freiberg hatte ich ein Schweißpraktikum, das ist auch beeindruckend, wenn man das mal selber macht, aber ich würde mich jetzt selbst als praktisch relativ unbegabt einschätzen (lacht). Also, ich habe das jetzt nicht gut hingekriegt. Das können Handwerker mit Sicherheit besser.

Sie haben also keine Werkstatt zuhause?

Nein, ich versuche in meiner Freizeit eher ein bisschen Sport zu machen – Tanzen, Latein und Standard, und Laufen, Freunde treffen, solche Sachen. Ich fahre nächste Woche zum Wandern in die französischen Alpen. Gerade wenn man so viel im Büro ist, ist das ein guter Ausgleich.

/Nina Kim Leonhardt

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