Zuletzt aktualisiert am 6. Februar 2023
Die Studie einer Studentin der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg zeigt: Technik-Videos sprechen Mädchen an, allerdings abhängig von ihrem Technikinteresse und der Themenwahl unterschiedlich gut.
Wie gelungen sind Technik-Videos, die von Studierenden des Technikjournalismus an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg speziell für die Zielgruppe Mädchen produziert worden sind? Diese Frage hat sich Hanna Kaschke im Rahmen eines Master-Projekts zur User Experience-Forschung gestellt. Im Rahmen einer Gruppendiskussion ließ sie fünf Mädchen zwischen 16 und 17 Jahren zwei Videos anschauen und lauschte ihrem anschließendem Austausch über das Gesehene. Das Ergebnis: Insgesamt gefielen die Videos den Mädchen. Einen ganzen Daumen nach oben vergaben sie jedoch nicht; stattdessen hielten sie ihre Daumen in halbaufgerichteter Stellung nach oben. Ihrer Ansicht nach hätten die Videos noch zielgruppengerechter aufbereitet werden können. Von selbst hätten und würden sich die Mädchen die Videos nicht anschauen.
Technikaffinität entscheidend
Die gezeigten Videos waren „Darum betrifft dich Müll im All“ und „So funktioniert deine Bluetooth-Box“. Während im ersten Video das Problem des Weltraumschrotts beleuchtet wird und seine Auswirkungen auf unseren Alltag, wird im zweiten Video die Funktionsweise einer Bluetooth-Box und das Prinzip einer Bluetooth-Verbindung erklärt.
Zwar verfolgten die beiden Mädchen, die in einem abschließenden Fragebogen ein hohes Technikinteresse angegeben hatten, die Filme gebannt und suchten nach Videoende das Gespräch mit ihrer Sitznachbarin. Die drei Mädchen mit geringerem Interesse an Technik fühlten sich allerdings nicht angesprochen. Sie wirkten gelangweilt und verhielten sich nach Videoende still. Bereits während der Videos schauten sie auf die Uhr oder aus dem Fenster.
Eventuell deuten diese Ergebnisse an, dass es sinnvoll erscheint, selbst in der Zielgruppe der Mädchen solche mit höherem und niedrigeren Technikinteresse noch einmal zu unterscheiden und die Zielgruppen noch spezifischer anzusprechen. Denkbar ist aber auch, dass das Geschlecht gar nicht das entscheidende Merkmal für die Definition von Zielgruppen ist: Die technikaffinen Mädchen könnten bei den Videos ähnliche Vorlieben haben, wie technikaffine Jungen.
Zielgruppen von Wissenschaftskommunikation
Dass eine Unterscheidung der Zielgruppe nach Technik- und Wissenschaftsinteresse sinnvoll für eine bessere Zielgruppenkommunikation ist, behauptet auch der Schweizer Kommunikationsforscher Mike S. Schäfer, Professor für Wissenschaftskommunikation an der Universität Zürich und Direktor des Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. In einer Studie zu den verschiedenen Zielgruppen der Wissenschaftskommunikation zeigt er zusammen mit seinen Co-Autoren auf, dass die Zielgruppe neben demographischen Merkmalen auch und für die Praxis besser nach Wahrnehmung bzw. Interesse an Wissenschaft differenziert werden sollte. Den Wissenschaftskommunikatoren gibt dies eine inhaltliche Orientierung, die es ihnen nach Schäfer viel leichter macht, in der Praxis erfolgreich mit der Zielgruppe zu kommunizieren. Insbesondere bei der Kommunikation, mit der bislang von der Wissenschaftskommunikation eher vernachlässigten Zielgruppe ist diese Erkenntnis wertvoll, um sie zu erreichen: die nicht aktiv an Wissenschaft und Forschungen Interessierten und nach News Suchenden. In dem Artikel „Falsche Zielgruppen: Erreichen wir die Richtigen?“ werden die zentralen Ergebnisse der Studie zusammengefasst.
Technologien, die Probleme lösen
Thematisch fanden die Befragten die erklärten Funktionsprinzipien von Alltagsgegenständen eher uninteressant. Interessanter sind Erklärungen zu alltäglichen technischen Geräten, wie die Gruppendiskussion ergab vor allem, wenn es ein Problem mit der Technik gibt. Also eben dann, wenn sie nicht funktioniert.
„Es ist gut zu wissen, wie bspw. ein Kühlschrank funktioniert, aber ich muss es nicht wissen, solange er funktioniert.“
Technische Themen müssen die Mädchen unmittelbar betreffen, sonst fehlt die nötige Nähe und Relevanz, damit ein Interesse entstehen kann. Dabei muss es sich um Technologien handeln, die ein Problem lösen. Das Feedback zum Video „Weltraumschrott“, welches äußerst positiv aufgenommen worden ist, verdeutlichte dies:
„Das Video zur Bluetooth-Box ist mehr, um für Schultests zu lernen. Nix für meine Freizeit. Aber das Weltraumschrottvideo, das hat meine Technikbegeisterung geweckt, weil es ein Problem mit Lösung aufzeigt, das mich betrifft.“
Die befragten Mädchen wollen in ihrer Freizeit eher keine „schulischen Erklärvideos“, sondern Videos, die sie thematisch berühren, leicht verständlich und humoristisch gefärbt sind. Relevanz und Verständlichkeit sind dabei genauso wichtig wie Witze zur Auflockerung.
„Als das Mädchen plötzlich ihren Schrank öffnete und ihre Kleidung sich ihr entgegenwarf, da musste ich total lachen. Die Witze haben mich immer wieder abgeholt. Das hat dann Spaß gemacht, die Erklärungen im Video zu gucken.“
Hohe Qualitätsansprüche
Neben der thematischen Relevanz stellten die Mädchen hohe Anforderungen an die Videoproduktion. Wechsel innerhalb eines Videos zwischen 2-D- und 3-D-Animationen verursachten Augenrunzeln und stießen auf Ablehnung. Erklärungen zu einzelnen Baukomponenten (wie bei der Bluetooth-Box) wurden als überflüssig angesehen, simple Erklärungen zum Funktionsprinzip, dem Nutzen und der Wirkung von Technologien auf das alltägliche Leben hingegen als spannend eingestuft.
Physikalische Erklärungen kosten Aufmerksamkeit
Viel Aufmerksamkeit ging vor allem bei tiefergehenden physikalischen Erklärungen verloren: Die Mädchen schauten aufs Handy, warfen einen Blick zur Uhr, schauten aus dem Fenster oder lehnten sich weiter in ihre Sitze zurück, als wollten sie Abstand gewinnen. Dass gleichaltrige Mädchen ihnen Technologiethemen näherbrachten, gefiel ihnen sehr gut. In diesem Zusammenhang scheint Authentizität eine wichtige Rolle zu spielen.
Humor und Schnitt holen Aufmerksamkeit zurück
Lobende Worte vergaben die Mädchen besonders zum Schnitt und den eingebauten Witzen. So gefiel den Mädchen die Schnittlösungen, wenn Animationen seitlich eingeblendet wurden und dies passend zur Bewegung der Darstellerin im Video erfolgte. Genauso gern gesehen wurden Kamerabewegungen, die zur Handlung der Darstellerin passten:
„Der Zoom-In als die Mädchen sich auf dem Handy die Erklärung anschauten zur Animation hin war klasse.“
Die eingebauten etwas humorvollen Szenen lockerten Erklärungen auf, hielten die Mädchen am Videoschauen und ergänzten für sie die Informationsvermittlung. Der Wechsel zwischen Darsteller*in, Animation und Witzen kam insgesamt sehr gut an. Die Videolänge von drei Minuten empfanden die Befragten als genau richtig, da sie in dieser Zeit nicht ihre Konzentration verlören.
Warum die Videos nun trotz einer guten Bewertung nicht angeschaut werden würden, hatte neben einem unterschiedlichen Technikinteresse noch eine weitere Ursache: sprachliche Hürden.
Videos erreichen nicht alle Mädchen
Von den fünf Teilnehmerinnen der Gruppendiskussion waren zwei in Deutschland lebende Ausländerinnen, die die deutsche Sprache aktuell noch lernen. Die Folge: Erklärungen konnte nur mühsam gefolgt werden, teilweise blieben sie unverständlich. Zwar halfen die Animationen beim Verständnis, besser wäre allerdings ein englischer Untertitel gewesen. Spätestens seit der Einreisewelle von Geflüchteten in den Jahren 2015 und 2016 gibt es viele Kinder und Jugendliche in Deutschland, die zweisprachig aufwachsen. Aber nicht nur geflüchtete Kinder, auch Menschen aus eingewanderten Familien tun sich mitunter mit der deutschen Sprache schwer.
Fazit: Wie kann die Zielgruppe besser erreicht werden?
Aus der Gruppendiskussion ergaben sich fünf Möglichkeiten, die Videos zu verbessern, um die Zielgruppe noch besser zu erreichen.
- Englischen Untertitel einpflegen
Ziel sollte es sein, die Sprachhürden zu minimieren und alle in Deutschland lebenden Mädchen anzusprechen. Dazu gehört in erster Linie ein englischer Untertitel, idealerweise aber auch Untertitel in den am meisten gesprochenen Sprachen: Türkisch, Polnisch, Rumänisch, Italienisch, Russisch, Ukrainisch. - Animationen einheitlich halten
In den Erklärvideos sollte sich für einen Animationsstil entschieden werden. Es sollte nicht zwischen Standbild, 2-D- und 3-D-Animationen gewechselt werden, da dies als störend empfunden wird. Sofern die Möglichkeit besteht, sollte mit 3-D-Animationen gearbeitet werden. Von der Zielgruppe wird diese bevorzugt. - Überblick über problemlösende Technologien geben und möglichst simpel erklären
Mädchen interessieren sich für Technologien, die Probleme lösen. Der Nutzen und die Wirkung stehen im Vordergrund. Zu viel technisch-inhaltliche Tiefe wie bei der Erklärung des Funktionsprinzips stößt eher auf Desinteresse. Daher sollten Erklärungen möglichst simpel und anschaulich in Animationen erklärt werden. Zentrale Fragen für die Erklärvideos lauten:- „Wozu ist diese Technologie/Forschung/technisches Produkt gut?“
- „Welches Problem wird dadurch gelöst?“
- Authentische und seriöse Darsteller*innen
Je näher die Darsteller*innen am Zielgruppenalter sind, desto authentischer wirken sie. Gerade für die Mädchen ist Authentizität und Identifikation essenziell, damit sie sich angesprochen fühlen. Dazu gehören natürliche Dialoge, wenig Sprechpausen sowie ein überzeugendes, selbstsicheres Auftreten der Darsteller*innen. Erst dann wird das Video gern von der Zielgruppe angesehen. - Technikinteresse der Zielgruppe beachten
Das Ergebnis zeigt, dass vor allem Mädchen mit geringem bis mittlerem Technikinteresse mit kurzen Erklärvideos angesprochen werden. Bei der (Video-)Produktion sollte dieser Faktor berücksichtigt werden und sich inhaltlich widerspiegeln.
Exkurs: Welche Formate bzw. Formen der medialen Aufbereitungen sprechen Mädchen an?
Im Anschluss an die Gruppendiskussion ging die Master-Studentin Hanna Kaschke dieser Frage weiter nach und gewann über einen Fragebogen weitere Anhaltspunkte. Demnach waren Gelegenheitsspiele wie Quiz, Infotainment-Apps und Technik-Videos die drei favorisierten Formate bei den Mädchen. Die Kombination von Unterhaltung und Bildung (Edutainment) sowie kurze, verständliche Informationen zeitlich flexibel zu konsumieren (Infosnacking), scheinen essenziell für die Zielgruppe zu sein. Tiefergehende Erklärungen zu physikalischen Abläufen sprechen vermutlich ausschließlich die stark Technikinteressierten an.
Quellen
Statistisches Bundesamt: Bevölkerung mit Migrationshintergrund – Ergebnisse des Mikrozensus 2021, S. 65, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Migration-Integration/_inhalt.html#_zn6uaca37, zuletzt abgerufen am 11.01.2023
Hauptmeier, Carsten: „Eine mehrsprachige Gesellschaft“, in: deutschland.de, 19.04.2022, https://www.deutschland.de/de/topic/wissen/deutsche-sprache-mehrsprachigkeit, zuletzt abgerufen am 11.01.2023