Zuletzt aktualisiert am 30. Januar 2024
Der Mobilitätssektor ist im Wandel, eine gute Chance, Gender- und Diversity-Perspektiven stärker einfließen zu lassen. Gender2Technik hat gecheckt: Können Frauen und People of Colour bei der Entwicklung autonomer Mobilität ihre Perspektiven einbringen?
Der Verkehrssektor ist weltweit eine Männerdomäne, doch die Branche für selbstfahrende Fahrzeuge ist jung und es zeichnet sich ein Trend ab: Sie ist offener für Geschäftsführerinnen und Vorständinnen sowie Gründerinnen. Alisyn Malek, die 2017 General Motors verließ, um das autonome Shuttle-Startup May Mobility zu gründen, hat eine Erklärung dafür: „Der Talentpool, aus dem AV (Autonomous Vehicles) schöpfen können, ist breiter, weil wir das noch nie zuvor gemacht haben.“ Neue Zweige der Technologiebranche könnten weniger etablierte männerdominierte Strukturen aufweisen und somit einen Einstieg für Frauen, People of Color (POCs) und queere Personen erleichtern.
Frauen in der US-Automobilindustrie
Tatsächlich arbeiten in Unternehmen rund um (autonome) Mobilität mehr Frauen als in anderen Technikbranchen. Während geschätzt 8,2 Prozent der Geschäftsführenden in den Unternehmen der US-Aktienindexe Fortune Global 500 und S&P 500 weiblich sind, zählt die Mobilitätsbranche immerhin 22 Prozent Frauen in Führungspositionen. Und da in der Mobilitätsbranche viel gegründet wird, auch noch diese Zahlen: Laut des Women in US Technology Leadership-Reports der Silicon Valley Bank von 2020 haben etwa 40 Prozent der US-Startups mindestens eine Frau in einer Führungsposition. Ein Bericht der Women Buisness Collaborative, einer Allianz beruflicher US-amerkanischer Frauenorganisationen, von 2020 ergab jedoch, dass weniger als 1 Prozent der Geschäftsführenden von Startups in den USA, England, Kanada und China Schwarze Frauen waren.
Die Mobilitätsbranche weltweit und in Europa
Weltweit betrachtet waren nur 16 Frauen, also etwa 8 Prozent, Führungskräfte in den Top 20 – Kraftfahrzeug- und Autoteilunternehmen der Fortune Global 500. Mehr als die Hälfte dieser Unternehmen haben im Jahr 2022 keine Frauen in ihren Führungsteams. Dies zeigt eine Statistik der globalen gemeinnützigen Organisation Catalyst, die den Fortschritt von Frauen durch Inklusion am Arbeitsplatz beschleunigen möchte.
Auf europäischer Ebene sind 24,7 Prozent der Herstellenden von Kraftfahrzeugen Frauen, in Deutshland 18,4 Prozent. Im Groß- und Einzelhandel von Autos sind europaweit 15,5 Prozent weiblich, in Deutschland 19,1 Prozent. Ein Beispiel: Bei Continental, einem deutschen Autozulieferndem, der mit Emoin an einem selbstfahrenden On-Demand-Shuttleservice in Norddeutschland beteiligt ist, lag der Frauenanteil in Führungspositionen 2020 bei 16,1 Prozent.
Vorteile diverser Entwicklungsteams
Diverse Entwicklungsteams haben nach aktuellen Erkenntnissen Nutzende und ihre Erwartungen an autonome Mobilität besser im Blick. Bedürfnisse an (autonome) Mobilität haben einen sozialen Kontext und dieser unterscheidet sich nach Alter, Geschlecht und kultureller Herkunft. Dies belegt unter anderem eine Untersuchung spanischer Forschenden von 2019: Es macht bei der Nutzung eines autonomen Busses ein Unterschied, ob sich Fahrgäste an einem vertrauten oder einem fremden Ort befinden, ob sie mit Bekannten oder Fremden, allein oder mit Kindern unterwegs sind.
Laut Hilary Cain, ehemalige Direktorin für Technologie- und Innovationspolitik bei Toyota, ist das Potential autonomer Mobilität vor allem für Menschen hilfreich, die aktuell nur eingeschränkt mobil sein können. „Ich schließe meine Mutter ein“, sagt sie, „da sie körperlich eingeschränkt ist. Wie wäre es für sie, zu einem Laden, ihren Freunden oder Arzt zu kommen, ohne eine Person finden zu müssen, die sie fährt?“
Carol Reiley ist eine führende Frau in der Selbstfahrbranche und eine KI-Expertin, die 2015 das Startup Drive.ai gründete und dessen Präsidentin war, bis es 2019 von Apple übernommen wurde. Reiley nutzt ihren Hintergrund in der Robotik und im Gesundheitswesen und sieht neue Möglichkeiten in der autonomen Mobilität: „Mir wurde klar, dass es das Potenzial hat, Leben zu retten, als ich erfuhr, dass Autounfälle die häufigste Todesursache bei jungen Erwachsenen sind“.
Gerechte Mobilität
Diverse Entwicklungsteams könnten zu einer gerechteren Mobilität führen und nicht bestimmte Personengruppen von vorneherein ausschließen. Ines Kawgan Kawan, hat über Möglichkeiten promoviert, den Anteil weiblicher Nutzer von innovativen Mobilitätslösungen zu erhöhen und das AEM Institute (Accessible Equitable Mobility GmbH) in Berlin gegründet. Sie merkt in einem Interview mit der HTW Berlin an: „Seit jeher ist die Verkehrsplanung und Gestaltung von Mobilitätsangeboten, seien es Elektroautos oder auch Dienstleistungen wie Car- und Scootersharing, ein eher männlich dominiertes Feld und wird sehr technisch betrachtet.“
„Und dann wunderten sich Unternehmen, wenn nur Männer die Angebote nutzten“, so Kawgan Kawan, „Gerechte Mobilität stellt den Menschen in den Mittelpunkt von (innovativen) Technologien und nicht andersherum. Schließlich sind es die Menschen, die Produkte und Angebote nutzen.“
Inklusive Perspektive für mehr Sicherheit
Allein zwischen 2017 und 2019 wurden fast 6000 Fälle von sexuellen Übergriffen, davon 464 Vergewaltigung bei Uber gemeldet, zwischen 2017 und 2018 kamen hierbei 19 Menschen ums Leben. Daher ist es wichtig, Strategien zu entwickeln, wie Unternehmen ihren Fahrgästen eine hohe Sicherheit bei Mobilitätslösungen ohne Authoritätsperson garantieren können – besonders in der autonomen Mobilität. Autonome Fahrzeuge könnten sowohl innen als auch außen mit Sensortechnologie ausgestattet sein. Das System könnte zudem Konfliktgeräusche oder feindselige Sprache über die fahrzeuginterne Konversationsschnittstelle erkennen und Helfende alarmieren. Fragen zu Datenschutz und Cybersicherheit bei selbstfahrenden Autos werden in einem weiteren Beitrg unseres Dossiers „Autonome Mobilität“ aufgegriffen.
Dazu kommen sichere Ausstiegsstrategien in unangenehmen oder gefährlichen Situationen. Hierzu gehören von Insassen gesteuerte Türen, die Möglichkeit, eine Fahrt diskret zu beenden oder umzulenken, Videoüberwachung und verbale Kontaktschnittstellen mit Notfallassistenz. Mündliche Befehle wären zudem eine einfache Möglichkeit, Sicherheitsprotokolle auszulösen und direkt zu handeln. Die führenden Firmen der autonomen Mobilität testen bereits einige dieser Sicherheitsstrategien.
Innenraum-Kameras und KI-Sprachassistenz
Tesla, experimentiert bereits länger mit Innenraumkameras im Rückspiegel, der Fokus soll hier jedoch hauptsächlich auf der Kontrolle der Fahrenden liegen, beispielsweise ob sie bereit wären, im Notfall einzugreifen. Baidu, ein chinesisches Unternehmen für autonome Mobilität, arbeitet an Apollo Moon Taxis. Diese sollen über unabhängige Steuerung zur Verriegelung von vier Türen, eine KI-Sprachassistenz, eine App-Steuerung, Authentifizierung von Mitfahrenden und ein elektronisches Display zum Status des Robotaxis und der Fahrt verfügen.
In Karlsruhe bringen die autonomen Shuttle Busse des Forschungsprojektes EVA Mitfahrende ans Ziel über einen auf On-Demand fokussierten Algorithmus der DB-Tochter Ioki. Dieser fasst ähnliche Routen zusammen (Ride-Pooling). Für mehr Sicherheit werden nicht nur Sensoren zur Selbstlokalisierung verwendet, sondern speziell ausgebildete Sicherheitsfahrende, die im Notfall jederzeit eingreifen können und mobilitätseingeschränkten Menschen beim Ein- und Aussteigen helfen.
Daniel Grimm, Projektleiter des EVA-Shuttle, seitens des FZI – Forschungszentrum Informatik, berichtet über zusätzliche Implementation und Sicherheitsstrategien: „Das Fahrzeug verfügt über zwei Notknöpfe im Innenraum. Über diese können die Passagiere eine Vollbremsung, ähnlich der Notbremse in Zügen, auslösen. Zusätzlich gibt es wie bei jeder Bustür eine Notentriegelung für die Türen.“
In der Zukunft sei „eine Leitstelle vorstellbar, die jederzeit für Passagiere im Fahrzeug über einen Knopf erreichbar ist, sollten Sicherheitsfahrende in kommenden Anwendungsfällen nicht mehr während der Fahrt im Fahrzeug sein.“ Zur Bedeutung von Inklusions-, Diversitäts- und Sicherheitsstrategien betont Daniel Grimm, es sei wichtig bereits in der Erprobungsphase die Realität des Flottenbetriebs im ÖPNV bestmöglich nachzustellen.
Mit einer Sensibilisierung für gender- und diversityspezifische Bedürfnisse an autonome Mobilität können Firmen durch Feature-Implementation die Realisierung eines sicheren AV-Verkehrs vorantreiben. Diverse Perspektiven und Inklusion können somit Schritte zu einer gerechteren Mobilität sein.
Gewinn durch Diversität
Führende Frauen in der autonomen Mobilität – Porträts
Gründerin und CEO von Waabi, Raquel Urtasun, konnte in einer Serie-A- Runde 83,5 Millionen US-Dollar für ihr Startup in Toronto sammeln. Damit werden drei von zwölf führenden autonomen Technologieunternehmen in Nordamerika von Frauen geführt. Zudem sind zwei Mitarbeitende von führenden selbstfahrenden Technologieunternehmen, Zoox-CEO Aicha Evans und Waymo-Co-CEO Tekedra Mawakana, Women of Color.
Urtasun, eine KI-Expertin und Professorin für Informatik an der University of Toronto, war bis Dezember 2020 leitende Wissenschaftlerin für das selbstfahrende Autoprogramm von Uber. Sie möchte autonome Mobilität durch eine „AI First“ Strategie vorantreiben, durch Zusammenarbeit mehrerer Algorithmen soll Simulation reale Testfahrten ersetzen. Hierdurch sollen Kosten gespart und Fehler bereits vor der Testphase auf der Straße, zurückverfolgt werden.
Aicha Evans, ehemalige Intel-Managerin und Ingenieurin aus Senegal, wurde im Januar 2019 als CEO von Zoox eingestellt. Das Unternehmen, das ein Robotertaxi entwickelt, wurde von Amazon für 1,2 Milliarden US-Dollar übernommen. Sie ist die erste weibliche POC in Amerika, die als CEO in der autonomen Mobilität arbeitet.
/Tim Breuer