Ludgera Decking leitet zwei Unternehmen. Dazu muss sie dank moderner Technik noch nicht einmal den Schreibtisch zwischen Siegelsknippen und Siegburg wechseln. Die größte Herausforderung sei damals die datenschutzkonforme Zusammenführung ihrer beiden Outlook-Kalender gewesen. Das habe die IT der beiden Unternehmen an den Rand der Verzweiflung gebracht.
Neben der Leitung der Rhein-Sieg-Abfallwirtschaftsgesellschaft (RSAG AöR) fällt seit November 2018 auch die Geschäftsführung des Wahnbachtalsperrenverbandes in den Aufgabenbereich von Ludgera Decking. Hier ist sie gerade an der Entwicklung einer Zukunftsstrategie beteiligt, um dem erhöhten Trinkwasserabsatz gerecht zu werden, der unter anderem durch den Klimawandel bedingt ist.
Während chemische und biologische Aspekte der Trinkwasseraufbereitung teilweise Neuland für Ludgera Decking bedeuten, beschäftigen sie technische Fragestellungen rund um das Thema Abfallwirtschaft bereits seit ihrem Studium. Heute kann die Bauingenieurin und Juristin auf eine lange Karriere in der Abfallwirtschaft und eine nunmehr 17-jährige Laufbahn als Geschäftsführerin und Vorständin der RSAG-Gruppe zurückblicken.
Im Interview spricht sie über Herausforderungen und Chancen auf ihrem Weg in die Geschäftsführung der RSAG und erklärt, warum Frauen den Mut haben sollten, mehr zu fordern.
Frau Decking, Wasser oder Abfallwirtschaft – welcher Bereich bereitet Ihnen mehr Spaß?
Die machen mir beide gleich viel Spaß. Die Abfallwirtschaft ist schon immer mein Faible gewesen und die Wasserwirtschaft ist – vor allem im Moment – total spannend, weil ich dort immer noch dazulerne.
Würden Sie sagen, dass Sie eher in einem technischen Beruf beschäftigt sind?
Ja, das würde ich schon sagen. Wobei man als Geschäftsführerin im Grunde auch mit juristischen und betriebswirtschaftlichen Kenntnissen Erfolg haben kann. Meine Grundauslastung ist aber eher technisch. Mir machen technische Gespräche und Problemstellungen auch mehr Spaß. Wenn wir beispielsweise entscheiden müssen, ob wir eine Papiersortieranlage neu bauen oder die alte noch einmal ertüchtigen werden, ob wir sie ganz abreißen oder ob es reicht, wenn wir einzelne Module erneuern. Sich dann über technische Vor- und Nachteile auszutauschen, da ist mein Herz mehr dabei.
Was haben Sie selbst studiert?
Im Abitur hatte ich Mathe Leistungskurs. Mathe gefiel mir total gut. Ich wollte aber nicht in die Theorie, sondern etwas Praktisches machen. Mein Vater hat in der Zeit ein Haus angebaut. Dabei habe ich geholfen und das hat mein Interesse an Architektur geweckt, sodass ich eigentlich Architektur studieren wollte. In der Berufsberatung hat man mir dann gesagt, dass das Bauingenieurwesen viel geeigneter für mich sei, da es eher in die technische Richtung ginge. Und das war auch genau der richtige Weg.
Wie sieht die Geschlechterverteilung in Ihrem Unternehmen aus?
Bei der RSAG ist vor allen Dingen die Führung sehr männerlastig. Auf unsere Stellenausschreibungen haben sich Frauen eigentlich kaum beworben. In der Müllabfuhr gibt es acht Müllwerkerinnen – von insgesamt 249 Mitarbeitern. Da sieht man schon, dass der Anteil sehr gering ist. Doch die Frauen sind sehr begehrt bei den Kollegen. Die sagen sie seien zuverlässiger, zäher, mit den Frauen könne man besser zusammenarbeiten. Außerdem sei die Stimmung eine andere. Die Männer würden sich in der Nähe der Frauen höflicher verhalten und es ist nicht mehr so raubeinig in dem Bereich. Wir versuchen auch mehr Frauen zu gewinnen, aber dann kommen solche Dinge wie Familienplanung, Heirat oder Umzug hinzu – da bricht die Frauenquote wieder ein. Die acht Frauen, die wir momentan haben, das ist schon wieder ein Höhepunkt.
Wünschen Sie sich, dass es mehr Frauen werden?
Ja, auf jeden Fall. Und das merkt man auch bei den Männern, die wünschen sich das auch.
Was fasziniert Sie besonders an Ihrem Beruf?
Das Faszinierende an der Abfallwirtschaft ist, dass es nie langweilig wird. Es kommt immer etwas Neues auf. Entweder haben sich die Gesetze geändert oder es gibt neue Verfahren der Abfallbehandlung oder wir haben wieder einen neuen Geschäftszweig aufgebaut. Es ist immer Bewegung drin.
Was war die größte Herausforderung in Ihrer beruflichen Laufbahn?
Das war ganz sicher der Korruptionsskandal* direkt zu Beginn. Ich bin mit großem Elan in die Geschäftsführung eingetreten und es war auch ganz gut, dass ich am Anfang nicht gewusst habe, was auf mich zukommt. Es ging um sehr viel Geld in dieser Auseinandersetzung. Wir haben nachher 19 Millionen Euro Schadensersatz bekommen. Mit solchen Millionenbeträgen umzugehen und diese auch wirklich zu erstreiten, hart zu bleiben und zu sagen: Den Schaden, der da für die Gebührenzahler entstanden ist, den machen wir auch wieder gut. Das war eine große Herausforderung.
War es auch eine besondere Herausforderung, die erste Frau in der Position der Geschäftsführerin zu sein?
Nein, ich würde sagen, es war eine große Chance. Selbst der Aufsichtsrat hat nach meinem Probejahr gesagt: Frau Decking, wir wollen auf jeden Fall, dass Sie weitermachen, wir wollen eine Frau an der Spitze haben, weil Korruption männlich ist. Das war für die so eine Art Sicherheit, dass jetzt nicht wieder in das alte Fahrwasser zurückgefahren wird. Wobei man sich fragen muss, warum Korruption männlich ist. Weil die Frauen überhaupt keine Chance hatten, korrupt zu sein? Weil sie nie in entscheidenden Positionen gesessen haben und nie die Möglichkeit dazu hatten? Fakt ist, dass Frauen weniger risikofreudig sind. Frauen sind etwas vorsichtiger. Und das mag auch dazu beitragen, dass man sagt: Korruption ist männlich.
Was würden Sie jungen Frauen, die eine ähnliche Karriere anstreben, mit auf den Weg geben?
Mittlerweile habe ich mir einen Satz von Simone de Beauvoir zu eigen gemacht: Frauen, die nichts fordern, bekommen das, was sie haben wollen: nichts. Das ist etwas, was ich auch erst lernen musste. Man muss als Frau Forderungen stellen. Und das tun die wenigsten. Meistens ist es so, dass Frauen gefragt werden wollen, aber sie gehen nicht aktiv in eine Forderung hinein. Egal, ob es Gehaltsverhandlungen sind oder die Bewerbung um einen bestimmten Posten. Ich glaube, das liegt Männern viel eher im Blut, für die ist es selbstverständlich zu fordern. Und die nehmen es auch sportlich, wenn sie etwas nicht bekommen haben, was sie gefordert haben. Frauen sind da anders. Ich glaube, da müssen wir etwas umdenken.
Rhein-Sieg-Abfallwirtschaftsgesellschaft (RSAG AöR)
Die RSAG, 1983 als Rhein-Sieg-Abfallbeseitigungsgesellschaft mbH gegründet, ist ein kommunales Entsorgungsunternehmen im Rhein-Sieg-Kreis. Es bedient rund 600.000 Einwohner und etwa 11.000 Kund*innen aus den Bereichen Handel, Industrie und Gewerbe. Das Aufgabenspektrum der RSAG-Gruppe erstreckt sich von der Müllabfuhr und -entsorgung aus Privathaushalten und Unternehmen, über die Kompostierung, Papierverwertung, Entsorgung von Elektroschrott und Schadstoffen bis hin zur Abfall- und Kundenberatung.
Im Zweckverband Rheinische Entsorgungs-Kooperation (REK) arbeitet die RSAG außerdem bei der Sortierung und Vermarktung von Papier sowie der Entsorgung von Sperrmüll mit der Stadt Bonn, dem Kreis Neuwied, dem Rhein-Lahn-Kreis und dem Kreis Ahrweiler zusammen.
Die über 500 Mitarbeiter*innen der RSAG-Unternehmensgruppe arbeiten an sechs verschiedenen Standorten in den Bereichen Technik, Logistik, Verwaltung, Recht, Kommunikation, Marketing und Vertrieb. Das Unternehmen positioniert sich selbst als Dienstleister für eine nachhaltige und zukunftsorientierte Abfallwirtschaft.
Homepage des Wahnbachtalsperrenverbandes.
/Juliane Orth
*Anmerkung der Redaktion: 2002 wird der ehemalige Geschäftsführer der RSAG Karl-Heinz Meys wegen Korruptionsverdacht verhaftet. 2004 wird er zu sechs Jahren Haft verurteilt.